Rabe Raphael - Folge 7
Der Spinnenmann
von Stefan Robijn
“So, das war die letzte”, sagte
Berger und wischte sich die Finger an seiner Jeanshose ab. Raphael krächzte
gelangweilt.
“Ich weiß, du glaubst nicht,
dass Zacharias noch einmal jemanden durch unsere Wände schickt, aber sicher ist
sicher.”
Berger hatte nach dem Besuch
des Mannes, der mittels Magie massive Hindernisse wie Wände oder Türen
passieren konnte, seine Datenbank durchsucht und die “Magiebrecher” - Formel
gefunden, die jeden Versuch, Magie zu wirken sofort aufheben und damit die
Wände hoffentlich unpassierbar machen würde.
Leider beschränkte der Spruch sich nur auf passive Magie, wie Verhüllungszauber, Schutzzauber oder eben jene, die Materie beeinflussen oder verändern konnten. Bei einem Angriffszauber blieb sie ebenso wirkungslos, wie bei Illusionsmagie oder Elementarzaubern, wie sie einige der zu Zacharias Gruppe zählenden Magier so gern anwandten.
Auch die ohnehin schon magisch gesicherten Türen und Fenster hatte Berger noch einmal präpariert, zusätzlich zu den Sicherheitsschlössern, die er ebenfalls verstärkt hatte, so dass er nun glaubte, das Haus verlassen zu können, ohne befürchten zu müssen, bei seiner Rückkehr ein erneutes Chaos und schlimmstenfalls den in seinem Schreibtisch verborgenen Safe leer vorzufinden.
Inzwischen hatte er es
geschafft, etwa die Hälfte der darin befindlichen Bücher seines verstorbenen
Freundes und Meisters Konstantin zu inspizieren, aber das eine Buch, nach dem
Zacharias offenbar suchte, war entweder nicht dabei gewesen oder er hatte es
nicht erkannt.
Da Konstantin nicht lange genug
gelebt hatte, um seinen neuen Schüler intensiv auszubilden, waren ihm einige
der Bücher völlig unverständlich, während er andere wiederum beinahe auswendig
kannte, nicht zuletzt deshalb, weil er ihren Inhalt erst vor kurzem in seine
Datenbank übertragen hatte.
Als ihm irgendwann der Kopf
brummte, hatte Berger beschlossen, sich die zweite Hälfte der ihm vermachten
Werke zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen und sich zunächst darum
gekümmert, dass ihm die wertvollen Bücher vorher niemand vor der Nase wegstahl.
Jetzt musste er sich aber erst
einmal um seinen aktuellen Fall kümmern, den er bereits vor zwei Tagen
angenommen hatte (siehe RR 6).
Eine ältere Dame hatte ihn
angerufen und von seltsamen Spinnenfäden berichtet, die sich in ihrer Garage
befinden sollten und die so extrem lang und widerstandsfähig wären, dass sie
aus Angst vor der Bauherrin fluchtartig ins Haus zurück gerannt sei. Berger war
zu ihr gefahren um die Fäden unter die Lupe zu nehmen und musste feststellen,
dass die Frau mit ihrer Beschreibung nicht übertrieben hatte.
Er entnahm eine Probe, die sich
nach einer kurzen Untersuchung zwar als beinahe unzerstörbar erwies, als er
jedoch am Abend nach dem Einbruch einen erneuten Blick darauf werfen wollte,
waren die Fäden rückstandslos verschwunden, so als hätten sie sich in Luft
aufgelöst.
Berger, der für den Nachmittag
bereits mit der alten Dame verabredet war, fragte sich, ob auch die Exemplare
in ihrer Garage inzwischen verschwunden waren, aber selbst wenn es so war -
wovon er ausging - blieb noch die Frage, wie sie überhaupt dorthin gekommen
waren.
Er packte ein paar Sachen
zusammen und verließ dann mit dem Raben das Haus. “Ich hoffe, du hast keine
Angst vor Spinnen, mein Freund”, scherzte er, während er in den Wagen stieg.
Raphael krächzte zweimal.
“Tja, dann hast du mir was
voraus”, sagte er und startete den Wagen.
***
Als Berger bei dem kleinen,
grau verputzten Haus ankam, erwartete Frau Hoffmann ihn bereits in der offenen
Haustür.
“Ich würde gern noch einen
Blick in die Garage werfen”, sagte er nach einer kurzen Begrüßung.
Die alte Dame nickte und kramte
in ihrer Schürze herum, dann lief sie zu der Garage, an deren Tor bereits
großflächig der Lack abgeblättert war und schloss sie auf.
Berger half ihr, das Tor zu
öffnen und war nicht überrascht, die Garage abgesehen von dem üblichen Gerümpel
leer vorzufinden. Die seltsamen Spinnenfäden waren auch hier völlig
rückstandslos verschwunden.
“Aber… wie kann das sein?”
fragte Frau Hoffmann.
“Das kann ich mir ehrlich
gesagt auch nicht erklären”, gab Berger zu. “Zumindest noch nicht.” Er deutete
auf das Haus. “Wohnen Sie allein hier?”
Frau Hoffmann schüttelte den
Kopf. “Mein Sohn wohnt noch zu hause.” Sie winkte ab. “Der ist schon
zweiundvierzig aber noch Junggeselle. Hatte vor Jahren mal ne Wohnung, aber
Hotel Mama ist halt billiger.”
Berger nickte. “Ich verstehe.
Ist er zu hause? Ich würde gern kurz mit ihm sprechen.”
Sie winkte wieder ab. “Der ist
in seinem Laden. Zu hause ist er in letzter Zeit nur noch selten. Also wenn er
Hunger hat oder Geld braucht.”
Berger runzelte die Stirn.
“Geld? Sagten Sie nicht, er hätte ein eigenes Geschäft? Oder habe ich das...”
Die alte Dame lachte. “Ach, der
Laden wirft doch nichts ab. Das ist nur so ein…” Sie überlegte kopfschüttelnd.
“So ein Laden für Spieler.”
“Ein Spielwarengeschäft?”
fragte Berger.
“Nein, nein, mehr so ein Laden
für diese Spieler, die sich verkleiden und dann an einem Tisch sitzen, würfeln
und irgendwelche Texte lesen.”
“Ach so, Sie meinen
Rollenspiele…”
“Ja genau! Er verkauft diese
Spiele, Zubehör und weiß der Geier, was man dafür sonst noch braucht.
Jedenfalls hat er den Laden früher immer nur stundenweise aufgemacht, aber in
letzter Zeit ist er meistens den ganzen Tag dort.”
Berger zuckte die Schultern.
“Naja, so ungewöhnlich ist das nicht. Die Spieler treffen sich dort sicher auch
und sind vermutlich befreundet…”
Frau Hoffmann winkte heftig ab.
“Ach der Fred hat doch gar keine Freunde. Und der Laden ist meistens wie
leergefegt. Ich habe ihm vor kurzem sein Mittagessen vorbeigebracht. Ist ja
gleich hier um die Ecke. Da hatte er das Schild mit der “Geschlossen” - Seite
nach außen in die Tür gehängt, und es war abgeschlossen.”
Berger nickte. “Können Sie mir
sagen, wo genau ich den Laden finde?”
Frau Hoffmann erklärte es ihm.
Sie sprachen noch kurz über den Verlauf der letzten Tage, aber die alte Dame
hatte keine weiteren Spinnweben entdeckt, weder im Haus, noch im Garten, was
Berger nun auch nicht mehr wunderte. Er verabschiedete sich und lief dann zum
Wagen zurück, wo Raphael ihn mit einem beleidigten Krächzen begrüßte.
“Tut mir leid, alter Freund,
beim nächsten Halt darfst du mich wieder begleiten. Mein Gefühl sagt mir, dass
ich dann brauchen werde…”
***
Berger erkannte den Laden erst als solchen, als er direkt davor stand. So etwas wie ein Ladenschild gab es nicht, und die beiden Schaufenster wurden von schweren, dunklen Vorhängen verhüllt.
Nur ein schlichter, an der Tür angebrachter Schriftzug
verriet, dass es sich hier um ein Geschäft handelte. “Pen, Paper & More”
stand dort, womit Bergers Vermutung bestätigt wurde, dass hier Artikel aus der
Welt der Rollenspiele verkauft wurden.
Seit die alte Dame ihm von dem
seltsamen Verhalten ihres Sohnes berichtet hatte, stand für Berger fest, dass
die merkwürdigen Fäden in der Garage in irgendeinem Zusammenhang mit diesem
Verhalten stehen mussten, denn dass ein Fremder die Garage in eine Art riesiges
Spinnennetz verwandelt hatte, konnte man wohl ausschließen.
Einen Hinweis auf
Öffnungszeiten gab es nicht, dafür hing das von der Mutter erwähnte Schild
wieder mit der “Geschlossen” - Seite nach außen in der Tür, die wie die Fenster
von einem Vorhang verdeckt war.
Berger spähte durch einen
freien Spalt hindurch, konnte aber nichts erkennen. Was auch immer der Sohn im
Innern des Ladens trieb, er schien Wert darauf zu legen, dass ihn niemand dabei
beobachtete.
Als Berger hinter der Tür eine
Gestalt zu sehen glaubte, nahm er die Gelegenheit wahr und klopfte an die
Scheibe.
Wie erwartet, reagierte der
Ladenbesitzer nicht, also klopfte Berger noch etwas energischer und rief:
“Kundschaft!”
Diesmal musste er nur eine
halbe Minute warten, bis der Vorhang zur Seite geschoben wurde und ein
bärtiges, grimmig dreinblickendes Gesicht zum Vorschein kam.
“Hallo…”, sagte Berger
lächelnd. “Darf man eintreten?”
Der Mann schüttelte sofort den
Kopf, doch dann fiel sein Blick auf den Raben, der auf Bergers Schulter saß.
Seine Augen wurden etwas größer, und das Gesicht verschwand wieder hinter dem
Vorhang.
Berger fluchte leise, aber dann
hörte er das Schnappen des Türschlosses und die Tür wurde einen Spaltbreit
geöffnet.
Hoffmann Junior taxierte ihn
kurz, dann wandte er sich wieder dem Raben zu und seine Miene hellte sich auf.
“Ein prächtiges Tier”, sagte er.
Berger nickte. “Danke, das hört
er nicht oft. Obwohl er es natürlich weiß, nicht wahr mein Freund?” Der Rabe
krächzte bestätigend.
Hoffmann warf einen kurzen
Blick auf die Straße und wandte sich wieder an Berger. “Hat Zacharias Sie
geschickt?”, fragte er.
Berger ließ sich seine
Überraschung nicht anmerken. Er folgte einfach seiner Intuition und nickte.
“Richtig. Er würde gern auf Stand gebracht werden, wenn Sie verstehen…”
Hoffmann beäugte ihn skeptisch
und Berger glaubte schon, zu hoch gepokert zu haben, doch dann trat er zur
Seite und ließ ihn herein.
***
In dem Laden herrschte eine
trübe Dunkelheit, es gab nur eine einzige flackernde Neonröhre direkt über dem
mit unzähligen Schachteln und Büchern zugestellten Verkaufstresen.
Hoffmann steuerte darauf zu und
Berger folgte ihm bis hinter den Tresen, wo sich eine schmale, geschlossene Tür
befand, die wohl in ein Hinterzimmer führte. Dort drehte der Mann sich zu
Berger um, der durch die geschlossene Tür hindurch leise scharrende Geräusche
hören konnte.
Raphael, der seit dem Betreten
des Ladens auffällig unruhig geworden war, krächzte zweimal. Für Berger ein
klarer Hinweis auf eine magische Aktivität, die aber scheinbar nicht dunkler
Natur war.
Hoffmann deutete mit dem Kinn
auf den Raben. “Er kann sie spüren, oder?”, fragte er grinsend.
Berger, der bereits ahnte, was
sie hinter der Tür erwartete, nickte nur.
“Ich gehe davon aus, dass Sie
Ihre Spinnen unter Kontrolle haben?”, wagte er einen weiteren Schuss ins Blaue.
Hoffmann nickte heftig.
“Natürlich! Es sind beschworene Kreaturen, was bedeutet, dass sie nur aktiv
werden, wenn sie angegriffen werden oder wenn der Beschwörer angreift oder
angegriffen wird.”
Er stutzte. “Das habe ich
Zacharias aber alles schon erklärt…”
Berger nickte schnell. “Schon
klar, ich wollte nur sichergehen, dass sie inaktiv bleiben, wenn der Rabe in
der Nähe ist. Dann lassen Sie mal sehen…”
Hoffmann öffnete die Tür und
tastete nach dem Lichtschalter. Im nächsten Moment wurde es in dem Raum hell
und Berger trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
In dem kleinen mit unzähligen
vollen und leeren Kartons zugebauten Abstellraum wuselten etwa zehn schwarze,
tennisballgroße Spinnen umher, die überall ihre Fäden hinterlassen hatten, sodass
man den Raum kaum betreten konnte, ohne sich darin zu verfangen.
Dass es sich bei den Kreaturen
um neutral gesinnte Wesen handelte, schien Raphael nicht zu stören, denn er
flog sofort los und nahm eine der Spinnen ins Visier.
“Raphael: Zu mir!” rief Berger.
Der Rabe gab ein beinahe
enttäuscht klingendes Krächzen von sich und kehrte zu Berger zurück. Hoffmann
nickte anerkennend.
“Gut dressiert, Ihr kleiner
Gefährte…”
Berger nickte nur und deutete
dann auf die Spinnen. “Wie lange wirkt der Beschwörungszauber?”
Hoffmann Junior verzog das
Gesicht. “Leider nur knapp zwei Stunden. Die Fäden halten etwas länger, aber
ich arbeite daran…”
Berger fragte sich, wie genau
diese “Arbeit” aussah. Brauchte er einfach nur stärkere Formeln oder musste er
auch selbst stärker werden, was deren Anwendung betraf? Leider kannte Berger
sich mit diesem Zweig der Magie nicht aus, also fragte er lieber nicht weiter
nach.
“Ich werde bald in einen
höheren Rang aufsteigen”, verkündete Hoffmann, so als hätte er seine Gedanken
gelesen. “Dann kann ich auch stärkere Kreaturen beschwören.”
Berger, dem allein bei der
Vorstellung größerer oder stärkerer Kreaturen ganz anders wurde, versuchte sich
sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen und nickte anerkennend. Dabei spielte
er bereits mit dem Gedanken, Hoffmann das Handwerk zu legen, solange er die
Gelegenheit dazu hatte.
Vorher aber wollte er diese
noch für etwas anderes nutzen. “Das sieht aber doch schon sehr gut aus”, sagte
er. “Zacharias wird mit Ihrer Arbeit fürs Erste zufrieden sein. Ich nehme an,
Sie wissen schon, wann und wo Sie ihn treffen werden?”
Hoffmann nickte, wobei er
wieder sein selbstzufriedenes Grinsen zur Schau stellte. Offenbar schöpfte er
noch immer keinen Verdacht, aber auch Lob und Anerkennung hatten so etwas wie
eine magische Wirkung, wie Berger wusste.
“Man sagte mir, dass er sich in
den nächsten Tagen bei mir melden wird, um sich meine Arbeit anzusehen. Deshalb
habe ich mich auch ein bisschen gewundert, dass er Sie geschickt hat…”
Berger nickte. “Im Moment ist
er noch zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, aber ich bin sicher, dass er
das nachholt. Wir… haben ja gerade erst ein neues Domizil gefunden…”
Sein Gegenüber runzelte die
Stirn. “Ein neues Domizil?”
Berger fluchte innerlich. Hatte
er ernsthaft erwartet, dass man Hoffmann bereits verraten hatte, wo sich das
neue Quartier befand? Und selbst wenn, hätte er dieses Wissen noch nicht
wirklich zu seinem Vorteil nutzen können.
Da das Eis, auf dem er sich bewegte, langsam dünner wurde, war es wohl besser, wenn er sich zunächst zurückzog, um dann in Ruhe zu überlegen, wie er verhindern konnte, dass der Beschwörer, den er für den bislang gefährlichsten Anwärter der kleinen Gruppe um Zacharias hielt, sich diesem anschließen konnte.
“Ich bin mir sicher, dass man
Sie darüber noch aufklärt”, sagte er schnell. “Ich möchte den Meister nicht
verärgern, indem ich ihm vorgreife. Eigentlich sollte ich ihm nur einen ersten
Eindruck vermitteln, und das kann ich ja jetzt.” Er deutete auf die
Hinterlassenschaften der Spinnen. “Ich gehe mal davon aus, dass Sie das mit den
Fäden noch in den Griff bekommen?”
Hoffmann verzog wieder das
Gesicht, dann nickte er. “Wie gesagt, das ist nur eine Vorstufe. Es wird
andere, bessere Kreaturen geben. Und dann…” In diesem Moment klingelte irgendwo
im Laden ein Handy. “Einen Moment”, sagte Hoffmann und verschwand aus dem Raum.
Berger beschloss, die
Gelegenheit zu nutzen, um ebenfalls zu verschwinden. “Ich glaube, wir haben
alles soweit besprochen”, sagte er, während er an Hoffmann vorbei auf die
Ausgangstür zuging. Dieser nickte heftig, aber das Nicken schien sich nicht auf
Bergers Bemerkung zu beziehen.
Der hatte die Tür fast erreicht, als Hoffmann
plötzlich wie von der Natter gebissen um den Tresen herumgerannt kam und ihm
den Weg abschnitt. In der rechten Hand hielt er einen Baseballschläger mit dem
er nun auf ihn deutete. Raphael krächzte laut und breitete die Flügel aus.
“Du arbeitest also für Zacharias, wie?” fragte Hoffmann grinsend.
Berger hob die Schultern. “Ich
fürchte, das war eine Notlüge.”
“Und ich fürchte, dass ich dich
nicht so einfach gehen lassen kann”, gab Hoffmann zurück.
Berger nickte. “Dann musst du
wohl versuchen, uns aufzuhalten. Raphael: Angriff!”
Der Rabe flog augenblicklich
los und visierte Hoffmanns Augenpartie an. Dieser duckte sich und holte
gleichzeitig mit dem Baseballschläger aus. Beinahe im selben Moment hörte
Berger das schon vertraute Scharren der Spinnen, die auf den Angriff des
Beschwörers hin sofort aktiv wurden und in den Kampf eingriffen.
Da der Rabe sich in der Luft
befand, flitzten sie auf Berger zu, der über die ersten drei vier Spinnen
hinwegsprang und die fünfte kurzerhand zertrat. Dann wurde er von gleich zwei
Spinnen angesprungen, die sofort an ihm hochkrabbelten und dabei ihre klebrigen
Fäden an seiner Kleidung hinterließen.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie
Hoffmann weiter von Raphael attackiert wurde. Zum Glück war es dem fettleibigen
Kerl bisher nicht gelungen, den dank seiner Parasinne unglaublich geschickten
Raben zu erwischen, aber Berger wollte sich nicht darauf verlassen, dass es
dabei blieb. Außerdem fürchtete er, den verbliebenen Spinnen nicht allein Herr
zu werden, also disponierte er um.
“Raphael: Abwehr!” rief er. Der
Rabe flog sofort in seine Richtung und stürzte sich auf eine der Spinnen, die
gerade zum Sprung ansetzte. Die anderen hatte Berger zwar abschütteln können,
aber ihre Fäden behinderten ihn bereits, weil sie seine Kleidung verklebten.
Hoffmann nahm die Gelegenheit
wahr und kam mit erhobenem Baseballschläger auf ihn zugestürmt. Berger sah,
dass Raphael fast spielend mit den Spinnen fertig wurde, von denen bereits drei
mit verkrümmten Beinen auf dem Boden lagen.
Da sein Geschicklichkeitswert
höher war, als seine Kampfkraft, wie man es in diesem Metier ausdrückte,
beschloss er, Hoffmann auszutricksen. Er lief zurück in den Spinnenraum und
Hoffmann rannte hinter ihm her.
Berger hatte vorhin bemerkt,
dass die Spinnen etwa in der Mitte des Raumes ein regelrechtes Nest aus ihrer
extrem klebrigen Spinnenseide gewoben hatten. Darauf hielt er zu und sprang
darüber hinweg.
Als er sich nach Hoffmann
umdrehte, holte dieser gerade mit dem Baseballschläger zum Schlag aus. Da er
weder besonders schnell noch besonders kräftig war, konnte Berger den Schläger
einfach kommen lassen, dann packte er ihn und zog mit einem Ruck daran, in den
er all seine Kraft legte.
Wie er gehofft hatte, hielt
Hoffmann den Schläger fest, geriet ins Straucheln und fiel dann kopfüber in das
Spinnennest hinein, wobei er den Schläger schließlich doch reflexartig losließ,
um sich abzustützen.
Berger schnappte ihn sich und
hob ihn drohend über den laut fluchenden Hoffmann. “Schön liegen bleiben, oder
das Ding landet auf deinem dummen Schädel.”
Aber selbst wenn Hoffmann hätte
aufstehen wollen, er hatte sich bereits zu sehr in dem Nest verfangen und je
verzweifelter er versuchte, sich daraus zu befreien, desto mehr verfing er sich
darin.
Berger nahm hinter sich eine
Bewegung wahr und drehte sich um.
“Schon fertig?” fragte er den
Raben, der auf seiner Schulter landete.
Raphael krächzte bestätigend.
“Das nutzt dir gar nichts!”,
meldete sich Hoffmann. “Ich kann jederzeit neue beschwören. Und die Spinnen
sind erst der Anfang!”
Berger nickte nur. “Jetzt hör
mir mal zu, mein Freund. Ich könnte dir nun dringend davon abraten, dich
Zacharias anzuschließen, nur bin ich damit schon bei deinen Kollegen auf taube
Ohren gestoßen. Aber ich warne dich. Wenn du es tust, gibt es kein Zurück mehr.
Und wenn dein neuer Herr und Meister dich jetzt sehen könnte, würde er garantiert
auf deine Mitarbeit verzichten. Und er würde dich beseitigen…”
Hoffmann starrte ihn für einen
Moment irritiert an, dann schüttelte er den Kopf und versuchte weiter, sich zu
befreien.
“Lass uns gehen, Raphael”,
sagte Berger seufzend.
An der Tür drehte er sich
nochmal um. “Ein kleiner Tipp: Anstatt dich so anzustrengen, könntest du
einfach ein paar Stunden ruhig liegenbleiben. Dann verschwinden die Fäden von
selbst…”
Hoffmann schrie irgendetwas,
das Berger nicht verstand. Er warf einen Blick durch die Vorhänge im
Schaufenster, um sich zu vergewissern, dass draußen keine Verstärkung auf ihn
wartete, dann verließ er den Laden. “Man sieht sich immer zweimal im Leben!”
rief Hoffmann ihm nach. Berger verzichtete auf eine Antwort, weil er ahnte,
dass das keine leere Drohung war.
“Wir werden uns in Zukunft um
Verstärkung bemühen müssen”, sagte er an den Raben gewandt. “Allein schaffen
wir es nicht, gegen diese Übermacht zu bestehen.”
Raphaels Krächzen klang nicht
wie eine Zustimmung, aber das änderte nichts daran, dass Berger sich ernsthaft
Sorgen zu machen begann.
© by
Stefan Robijn
Ende der siebten Folge
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