Rabe Raphael - Folge 5
Kaltes Feuer
von Stefan Robijn
Als Berger sein Wohnzimmer betrat und das Telefon ihn ausnahmsweise einmal nicht mit einem roten Blinken begrüßte, seufzte er erleichtert.
Zwar war heute Samstag, aber da seine
Klienten offenbar glaubten, dass es so etwas wie einen geregelten Arbeitsalltag
für jemanden wie ihn nicht gab, riefen sie auch schon mal sonntags an.
Der Tag an dem Patrizia Lorenz
den Hexenzirkel seiner Freundin Helena verlassen hatte, um sich dem dunklen
Magier Zacharias anzuschließen, lag nun etwa zwei Wochen zurück und Berger
hatte es noch immer nicht überwunden, dass es ihm nicht gelungen war, sie davon
abzubringen.
Auch Helena war nicht gerade
begeistert gewesen, als er ihr seinen Misserfolg gebeichtet hatte, aber im
Gegensatz zu Berger, der Patrizia erlebt hatte, schien sie ihre
“Hexenschwester” noch nicht ganz aufgegeben zu haben.
Berger wusste nicht, ob sie irgendetwas plante, um sie zurückzuholen, hatte ihr aber eingeschärft, sich unbedingt von Konstantins Haus fernzuhalten, in dem Zacharias nun residierte.
“Aber wir müssen doch
irgendetwas tun können”, hatte Helena immer wieder gesagt. Berger hatte
versucht, ihr zu erklären, dass es nicht nur aussichtslos wäre, Pat gegen ihren
Willen dort rauszuholen, sondern auch viel zu riskant.
Er wusste nicht, wieviele
Anhänger Zacharias schon um sich geschart hatte, aber er wusste, dass schon der
“Täuscher” allein ein sehr starker und gefährlicher Gegner war. Selbst wenn Pat
jetzt doch noch zur Vernunft käme und aussteigen wollte, wäre es nun zu spät.
Bergers Laune war also auch
nach zwei verhältnismäßig ruhigen Wochen nicht die allerbeste und sie wurde
nicht besser, als das Klingeln des Telefons ihn aus seinen trüben Gedanken
riss.
Er dachte kurz daran, einfach
den Anrufbeantworter abzuwarten und im Bad zu verschwinden, um sich bei einem
guten Buch und einem Glas Wein in die Wanne zu setzen, aber Raphael schien
etwas dagegen zu haben, denn er krächzte zweimal.
“Ist ja gut, ich geh ja schon
ran”, sagte Berger und nahm den Anruf entgegen.
Am anderen Ende war zunächst
nur ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. Dann räusperte sich jemand. “Hallo
Herr Berger, hier ist Amelie Portmann. Ich… habe gehört, dass Sie so eine Art
Detektiv sind, der sich mit ungewöhnlichen Fällen befasst. Ist das richtig?”
“Das ist in etwa richtig, ja”
sagte Berger. Und am liebsten mache ich das zur Feierabendzeit an den
Wochenenden, fügte er in Gedanken hinzu.
“Wie kann ich Ihnen denn
helfen?” fragte er betont freundlich.
“Mein Sohn ist entführt
worden”, sagte die Frau. “Er hat vor ein paar Tagen so eine… Frau kennengelernt
und jetzt ist er verschwunden.”
Berger atmete tief durch. “Frau
Portmann, ich bin mir nicht sicher, ob ich in einem solchen Fall der richtige
Ansprechpartner bin…”
Die Frau seufzte. “Ich weiß,
was Sie denken, aber er ist nicht einfach nur mit ihr durchgebrannt. Sie hat
ihn wirklich entführt. Ich glaube, sie… hat ihn irgendwie verhext und dann hat
sie ihn mitgenommen…”
Bergers Interesse stieg um ein paar Nuancen an. “Verhext? Meinen Sie das in dem Sinne, dass sie ihm den Kopf verdreht hat, oder…
“Nein, nein. Sie müssen wissen,
dass mein Sohn sich schon immer für Magie und Zaubererei interessiert hat. Er
experimentiert in seinem Zimmer ständig mit irgendwelchen… Feuertricks herum.
Und diese Frau… also sie schien dieses Interesse zu teilen und…”
Jetzt war Berger mehr als nur
interessiert. Er war alarmiert. “Was können Sie mir über die Frau sagen? Wissen
Sie, wie sie heißt?”
Frau Portmann schien zu
überlegen. “Ich glaube, er nannte sie… Patsy oder Patty, ich weiß es nicht mehr
genau. Das war eine ziemlich schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren. Ich
habe sie nur einmal kurz gesehen, kurz bevor sie mit ihm verschwunden ist, aber
sie muss mindestens 25 sein. Und mein Florian ist doch erst siebzehn!”
Für Berger bestand nun kein
Zweifel mehr, dass es sich bei der Entführerin um Patrizia handelte, und nach
dem, was er bisher gehört hatte, schien auch relativ klar zu sein, was sie mit
Florian vorhatte.
Offenbar hatte sie sich
Zacharias tatsächlich angeschlossen und dieser hatte sie gleich damit
beauftragt, weitere Mitglieder für seine Gruppe magisch bewanderter Helfer zu
rekrutieren. Ein junger Kerl wie Florian ließ sich von einer hübschen Frau
natürlich viel leichter um den Finger wickeln als von einem seltsamen, kleinen
Herrn mit Hut.
“Seit wann ist Ihr Sohn
verschwunden?” fragte er.
“Er ist jetzt seit drei Tagen
nicht mehr nach hause gekommen” sagte Frau Portmann. “Und er ist auch nicht
mehr zu erreichen.”
“Haben Sie schon die Polizei
benachrichtigt?”
“Noch nicht, ich… wollte das
eigentlich längst, aber… naja, Sie wissen selbst, wie sich das angehört hat,
was ich Ihnen erzählt habe. Und dann ist da auch noch eine andere Sache…”
“Ich höre…”, sagte Berger mit
zunehmender Ungeduld.
“Ich sagte ja schon, dass mein
Sohn in seinem Zimmer mit diesen… Zaubertricks herumexperimentiert, und nachdem
diese Frau hier war und er mit ihr verschwunden und nicht wiedergekommen ist,
habe ich dort nach dem Rechten gesehen und… also das klingt bestimmt verrückt,
aber in seinem Zimmer brennt es…”
“Können Sie mir das etwas
genauer erklären?” fragte Berger.
“Naja, es ist kein normales
Feuer, das ist auch der Grund, warum ich Sie angerufen habe. Es ist… blau. Eine
blaue Flamme, die keine Hitze ausstrahlt und sich nicht ausbreitet, aber es
sieht irgendwie echt aus”
“Betreten Sie den Raum vorerst nicht”, sagte Berger. “Ich komme sofort zu Ihnen”.
***
Frau Portmann öffnete die
Haustür und warf dem auf Bergers Schulter sitzenden Raben nur einen kurzen
Blick zu, bevor sie ihn einließ. Die Frau war offenbar zu müde und
niedergeschlagen, um sich über den Raben zu wundern. “Kann ich Ihnen irgendwas
anbieten”, fragte sie.
Berger winke ab. “Nicht nötig.
Zeigen Sie mir einfach das Zimmer Ihres Sohnes.”
Die Frau nickte erleichtert und
Berger folgte ihr in das obere Stockwerk hinauf, wo sie vor dem betreffenden
Raum stehenblieb und dann vorsichtig die Zimmertür öffnete, als befürchtete
sie, das Feuer hätte nach Bergers Rat, dem Raum fernzubleiben, doch noch weiter
um sich gegriffen. Das schien allerdings nicht der Fall zu sein, wie Berger
nach einem ersten prüfenden Blick feststellte.
In dem Haus schien man sehr
viel Wert auf Ordnung zu legen, und auch Florians Zimmer machte da keine
Ausnahme. Es sah eigentlich gar nicht wie das Zimmer eines 17jährigen aus, das
bei Teenagern übliche Chaos fehlte ebenso wie die Poster irgendwelcher
Rockbands. Dafür hing über dem Bett ein recht großes Bild der brennenden
Hindenburg.
Das hätte Berger unter normalen
Umständen vielleicht irritiert, allerdings gab es etwas, das ihn von diesem
Anblick ablenkte: Eine hell lodernde, kobaltblaue Flamme von der Größe eines
Tennisballs, die etwa zwanzig Zentimeter über dem ebenfalls aufgeräumten
Schreibtisch des Jungen zu schweben schien.
“Raphael?” fragte er leise. Der
Rabe krächzte zweimal und Berger nickte bestätigend. “Richtig, mein Freund. Wir
haben es hier eindeutig mit einem magischen Feuer zu tun, aber es scheint
relativ harmlos zu sein.”
Er streckte vorsichtig die Hand
aus und fuhr mit den Fingern durch die Flamme. Sie flackerte, aber Berger
spürte keine Hitze, sondern Kälte.
Er drehte sich zu der Frau um,
die noch immer im Türrahmen stand.
“Hat Ihr Sohn schon einmal eine
solche Flamme entstehen lassen?”
Frau Portmann schüttelte den
Kopf. “Nein. Er hat sich zwar schon immer für Feuer interessiert, schon als er
noch ein kleiner Junge war, mussten wir immer Feuerzeuge und Streichhölzer vor
ihm verstecken, aber gelegt hat er nie eins. Und sowas wie das hier… ist das
überhaupt ein richtiges Feuer? Ich dachte, das wäre eine Art Zaubertrick…”
“Sie meinen sowas wie eine optische Täuschung? Nein, ich kann Ihnen versichern, dass es ein richtiges Feuer ist, wenn auch kein natürliches.”
Die Frau nickte, als ob sie
verstehen würde, was er meinte, allerdings glaubte Berger das eher nicht. “Ist
es denn gefährlich?” fragte sie. “Ich meine, es strahlt zwar keine Hitze aus
und breitet sich nicht aus, aber löschen lässt es sich ja auch nicht…”
“Wenn es das ist, was ich
vermute, ist es nicht ganz ungefährlich, auch wenn es so aussieht, als würde es
keinen Schaden anrichten. Aber ich werde versuchen, es zu beseitigen.”
Er holte sein Handy aus der
Jackentasche und griff auf seine Datenbank mit magischen Formeln zu, die er
nach Konstantins Tod angelegt hatte, um in Fällen wie diesem nicht jedes Mal
nach Hause fahren und Bücher wälzen zu müssen. Es dauerte eine Weile, dann
glaubte er die passende Formel gefunden zu haben. Er drehte sich zu der Frau
um.
“Haben Sie einen Feuerlöscher?
Vielleicht reicht auch eine Decke.”
Frau Portmann schaute ihn
erstaunt an und Berger rang sich ein Lächeln ab. “Die Sache ist die, es handelt
sich hier um ein… sagen wir übernatürliches Phänomen. Ich kann die Flamme nicht
einfach löschen, aber ich kann sie in ein normales Feuer umwandeln. Sozusagen
Feuer mit Feuer bekämpfen.
Das hat allerdings den
Nebeneffekt, dass es zu einer kleinen Verpuffung kommen könnte, und natürlich
müssen wir das normale Feuer dann sofort ersticken.”
Frau Portmann schien zu
bezweifeln, dass Bergers Plan funktionieren könnte, aber sie verschwand kurz
und kam nach ein paar Minuten mit einem kleinen Feuerlöscher und einer Decke
zurück.
Berger hatte sich die Formel inzwischen eingeprägt. Er nickte der Frau zu, die sich ein paar Schritte vorwagte und sagte dann die Formel auf.
Die Flamme schien zunächst zu
schrumpfen, dann blähte sie sich plötzlich auf und explodierte in einem blauen
Funkenregen. Die Funken wechselten die Farbe und regneten in natürlichem
Zustand auf den Schreibtisch herab. Berger schnappte sich die Decke und
erstickte sie.
“Wir haben Glück gehabt”, sagte
er. “Ihr Sohn übt scheinbar noch.”
Frau Portmann nickte, dann
senkte sie den Kopf. “Ich danke Ihnen, aber… wie geht es jetzt weiter? Können
Sie mir helfen, meinen Sohn zu finden und ihn nach hause bringen?”
Berger seufzte. “Ich kann es
versuchen. Aber was das letztere betrifft, kann ich Ihnen nichts versprechen.”
Und das war nur die halbe Wahrheit.
Wenn Patrizia den Jungen tatsächlich für Zacharias rekrutiert hatte, wie Berger
vermutete, dann würde es schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, ihr diesen
Wunsch zu erfüllen…
***
Berger fuhr kurz nach hause, um
sich zu stärken und umzuziehen, dann stieg er schon wieder in den Wagen, wo
Raphael nach wie vor auf seiner Stangenvorrichtung hockte und fuhr zu dem Haus,
in dem Patrizia wohnte.
Zwar war seine Hoffnung, sie
dort anzutreffen gering, aber da er vermutete, dass sie Florian bei sich
einquartiert hatte, bevor sie ihn Zacharias vorführte, auch nicht ganz
unbegründet.
Berger parkte den Wagen in
sicherer Entfernung zu dem Haus, gab Raphael ein Stück Trockenobst und
beobachtete den Eingangsbereich.
Nach etwa zwanzig Minuten fuhr
ein alter Fiat Punto auffällig langsam an dem Haus vorbei, wendete und hielt
dann in einer Nebenstraße.
Ein paar Minuten später kam ein
schmächtiger junger Mann um die Ecke und lief auf den beleuchteten Eingang zu.
Vor der Haustür schaute er sich kurz um und klingelte dann. Trotz der
Dunkelheit und der Entfernung von etwa fünfzehn Metern hatte Berger den Kerl
sofort erkannt: Es war der angehende Illusionist, der ihn vor zwei Wochen zum
Haus seines Freundes Konstantin gelockt hatte.
“Da haben wir anscheinend den
richtigen Riecher gehabt”, sagte er an den Raben gewandt. Raphael krächzte
bestätigend und tickte mit dem Schnabel an die Scheibe.
“Ich glaube, es wäre besser,
wenn wir noch im Auto sitzen bleiben, mein Freund. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass die sich länger als unbedingt nötig in der Wohnung aufhalten
werden.”
Tatsächlich dauerte es nur
knapp zehn Minuten, bis die Haustür wieder geöffnet wurde und drei Personen das
Haus verließen: Der schmächtige Fahrer, die mit zwei Reisetaschen bepackte
Patrizia und ein recht großer und kräftiger junger Mann, bei dem es sich nur um
den vermissten Florian handeln konnte.
Berger zögerte nicht länger und
stieg aus dem Wagen. “Raphael: Zu mir”, sagte er. Der Rabe landete auf seiner
Schulter und sie folgten der kleinen Gruppe bis zu der Nebenstraße, wo der
Schmächtige und Florian gerade in den Wagen einstiegen, während Patrizia noch
damit beschäftigt war, die Taschen im Kofferraum zu verstauen.
Als sie Berger sah, zuckte sie
leicht zusammen, dann knallte sie den Kofferraum zu und starrte ihn mit in die
Hüften gestemmten Fäusten herausfordernd an.
“Hallo, Patrizia”, sagte Berger
lächelnd. “Haben Sie vor, zu verreisen?”
“Was willst du hier?”, giftete
sie ihn an. “Verschwinde!”
Berger schüttelte den Kopf und
deutete auf den im Wagen sitzenden Florian. “Wissen Sie, wie man das nennt, was
Sie da gerade tun?”
“Was wir hier tun, geht dich
gar nichts an, Berger.”
“Das sagten Sie schon mal,
Patrizia, aber ich glaube, diesmal irren Sie sich. Der Junge wird vermisst. Ich
habe keine Ahnung, wie ihr ihn gefunden habt, aber er hat in eurem Verein
nichts verloren. Er ist übrigens noch minderjährig. Wussten Sie das?”
Pat wirkte für einen Moment
irritiert. Offenbar hatte Florian ihr nicht ganz die Wahrheit gesagt, was sein
Alter betraf. Dann fing sie sich wieder. “Und wenn schon. Der Junge hat sich
uns freiwillig angeschlossen. Niemand hat ihn zu irgendwas gezwungen.”
Berger nickte bedächtig. “Und
ich nehme an, Sie haben ihm genau erklärt, was ihn bei Zacharias erwartet?
Oder… wissen Sie das selbst nicht so genau?”
Sie schüttelte wild den Kopf.
“Ich habe ihm alles gesagt, was er wissen muss. Dass er jemandem begegnen wird,
der sein Talent würdigt und es fördert. Jemand, der ihn anerkennt!”
Berger lachte. “Haben Sie bei
unserer letzten Begegnung nicht richtig zugehört, oder sind Sie wirklich so
dumm, das zu glauben?”
Er wandte sich von ihr ab und
beugte sich in den offenen Wagen. “Zacharias ist ein Mörder, Florian. Ich
schätze, das hat man dir verschwiegen, oder? Er hat nicht wirklich vor, dich zu
fördern.
Er hat etwas ganz anderes vor.
Dafür braucht er deine Fähigkeiten und die der anderen.” Er wandte sich wieder
an Patrizia. “Und wenn er das geschafft hat, könnte es sein, dass er euch nicht
mehr braucht. Und was dann? Glaubt ihr, dass er euch dann einfach nach hause
schickt?”
In diesem Moment wurde die
Beifahrertür aufgerissen und der Schmächtige sprang heraus. “Halt endlich die
Klappe, verdammt!” schrie er. Er lief um den Wagen herum und baute sich vor
Berger auf.
Dieser trat unwillkürlich ein
paar Schritte zurück. Raphael stieß ein warnendes Krächzen aus. Der Schmächtige
warf ihm einen verächtlichen Blick zu. “Was weißt du denn schon von Zacharias
oder seinen Plänen? Einen Scheißdreck!”
Berger zuckte die Schultern.
“Ich weiß, wer er früher war, und vor allem, was er war. Und ich weiß, dass er
sich seitdem nicht zu seinem Vorteil verändert hat.” Er wandte sich wieder an
den im Fond des Wagens sitzenden Jungen.
“Du musst ihnen nicht folgen,
Florian. Du kannst einfach aussteigen, wir nehmen deine Sachen und dann bringe
ich dich nach hause. Deine Mutter macht sich große Sorgen um dich!”
Florian starrte ihn nur an,
dann lachte er. “Das wäre aber das erste mal.”
Der Schmächtige grinste ihn an.
“Da hörst du es. Der will gar nicht nach hause zurück. Er bleibt bei uns. Und
jetzt verpiss dich endlich!”
“Steig endlich ein, Benno”,
sagte Patrizia. “Wir sind schon spät dran!”
“Einen Moment noch”, antwortete
Benno. Er trat ein paar Schritte zurück und deutete grinsend auf den Raben.
“Wir könnten dem Meister noch ein kleines Geschenk mitbringen. Raphael: Zu
mir!”
Der Rabe reagierte nicht und
Berger schüttelte den Kopf.
“Das solltest du lieber lassen,
mein Junge”, sagte er nur.
Benno trat wieder vor und
klatschte laut in die Hände. Raphael zuckte leicht zusammen, was den Kerl zu
amüsieren schien. Er klatschte nochmal, wobei seine Hände dem Raben bedrohlich
nah kamen.
“Raphael: Abwehr!”, rief
Berger.
Der Rabe erhob sich, flog
direkt auf Benno zu und zog dann dicht an seiner Nase vorbei im Senkrechtflug
in die Höhe.
“Ich schnapp mir das
Mistvieh!”, schrie Benno und sprang ein paar mal in die Luft, was nicht nur in
Bergers Augen lächerlich aussah.
“Ich sagte, du sollst
einsteigen, du Idiot!”, schrie Patrizia.
“Raphael: Zu mir!”, rief Berger
und der Rabe landete auf seiner Schulter. Als der vor Wut rasende Benno sich
ihm wieder näherte, trat Berger zurück und streckte die Hand aus.
“Stopp!” sagte er. “Das war
gerade nur ein kleiner Schuss vor den Bug. Es gibt auch einen Angriffsbefehl.
Dein Freund mit der Augenklappe ist leider nicht hier, sonst könnte er dir
erklären, dass der ganz böse Folgen haben kann.”
Bennos Grinsen erstarrte zu
einer hässlichen Grimasse. Er spuckte Berger vor die Füße und stieg dann
fluchend in den Wagen ein.
Patrizia öffnete die Fahrertür,
dann drehte sie sich nochmal zu Berger um. “Falls du vorhast, uns zu folgen…
davon würde ich dir dringend abraten. Vielleicht solltest du lieber beim Haus
deines alten Freundes vorbeischauen…”
Berger stutzte. “Soll das
heißen, ihr fahrt nicht dorthin?”
Patrizia schüttelte den Kopf.
“Dort ist es nicht mehr sicher. Der Boden wird uns da allmählich zu heiß…” Sie
zwinkerte ihm zu, dann sprang sie in den Wagen, startete den Motor und fuhr mit
quietschenden Reifen los.
Berger stand noch einen Moment
wie angewurzelt da und dachte über ihre letzten Worte nach. Dann lief er mit
Raphael zum Wagen zurück.
***
Schon von weitem sah Berger
seine Befürchtung bestätigt. Das Haus seines alten Freundes Konstantin schien
von innen her blau zu leuchten, oder besser gesagt schien es nicht nur so, es
leuchtete definitiv. Fußgänger, die einen zufälligen Blick auf das Gebäude
warfen, mochten das für eine technische Spielerei halten, aber Berger wusste es
besser.
Da er nicht mit Sicherheit
davon ausgehen konnte, dass Zacharias und die anderen wirklich verschwunden
waren, hatte er den Raben zunächst im Auto sitzen lassen, doch als er sich
jetzt dem Haus näherte, glaubte er nicht mehr, dass sich noch irgendjemand hier
aufhielt, also lief er wieder zurück, befreite Raphael aus dem Wagen und
schickte ihn mit einem knappen Befehl voraus.
Der Rabe flog einmal um das
Haus herum, kehrte dann zu ihm zurück und krächzte dreimal. Berger, der bereits
seinen kleinen Feuerlöscher aus dem Kofferraum geholt hatte, öffnete die nur
angelehnte Haustür, trat vorsichtig ein und sah die Bescherung. Im Innern des
Hauses brannte es.
Und wie er bereits erkannt
hatte, handelte es sich nicht um ein normales, sondern um ein magisches Feuer.
Überall im Haus züngelten kleine und größere blaue Flammen, wie er sie bereits
in Florians Zimmer erlebt hatte, mit dem Unterschied, dass es sich hier nicht
mehr um eine harmlose, sondern durchaus gefährliche Variante handelte.
Diese Flammen hier schienen
zusehends zu wachsen, und von Konstantin wusste er, dass ihr Zweck darin
bestand, Dinge “verschwinden” zu lassen. Was Opfer der Flammen wurde,
verbrannte nicht, sondern es entmaterialisierte. Berger glaubte zwar zu wissen,
dass dieser Prozess nur sehr langsam fortschritt, aber auch wenn es hier nicht
mehr viel zu zerstören gab, wollte er das Ende dieser Entwicklung nicht
abwarten, zumal die Flammen sich irgendwann über das Grundstück hinaus
ausbreiten konnten.
“Okay, dann wollen wir mal”,
seufzte er und wandte sich zunächst den größeren Flammen zu. Er sagte die
Formel auf, die er noch auswendig konnte, ging dann in Deckung und zückte nach
der Verpuffung sofort den Feuerlöscher.
So verfuhr er mit allen
Flammen, die er auf Anhieb fand. Jene, die irgendwo im Haus versteckt waren,
ließ er von Raphael aufspüren. Auf diese Weise hatten sie nach etwa einer
halben Stunde alle Flammen umgewandelt und gelöscht.
“Das war ein hartes Stück
Arbeit, mein Freund”, sagte er erschöpft.
Die Frage war nur, was
Zacharias damit bezwecken wollte. Dass er beschlossen hatte, das Haus als
Domizil aufzugeben, war verständlich, aber war es ihm nur darum gegangen, es zu
vernichten, nachdem Berger ihn vor seinen Leuten in Verlegenheit gebracht und
ihn daran erinnert hatte, dass er hier schon damals unerwünscht gewesen war?
Oder handelte es sich hier um
das Ergebnis der Prüfung seines neuen Anhängers Florian?
Berger tippte auf die letztere
Möglichkeit. Und er ertappte sich bei der Hoffnung, dass er sie auch dann
bestanden hatte, wenn jemand seinem Feuerzauber ein vorzeitiges Ende setzte.
Andernfalls hätte Berger den Jungen am Ende noch auf dem Gewissen, ein
besorgniserregender Gedanke, selbst wenn er wusste, wer der wahre Schuldige
war.
“Ich hätte dich retten können”,
sagte er kopfschüttelnd. “Ich hätte dich einfach aus dem Wagen zerren und nach
hause bringen sollen. Jetzt ist es zu spät…”
Berger hatte keine Ahnung, wie
er der Mutter des Jungen beibringen sollte, dass ihr Sohn wohl in nächster Zeit
nicht zurückkehren würde.
Wenn sie ihn überhaupt jemals
wiedersah. Vor allem wusste er nicht einmal mehr, wo Florian sich nun befand.
Ganz zu schweigen von Zacharias. Obwohl er sich ziemlich sicher war, ihm in
absehbarer Zeit wieder zu begegnen.
© by
Stefan Robijn
Ende der fünften Folge
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