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Montag, 26. Juni 2023

Interview mit Bernward Schneider vom Benu Verlag

Ingo Löchel: Herr Schneider, wie kam es zur Gründung des Benu Verlages?

Bernward Schneider: Das Verlagsprogramm des Benu Verlags lässt sich schlagwortartig mit den Begriffen "Krimi, Abenteuer und Fantastik" überschreiben. Ich gebe nur alte Romane heraus. Für neue Autoren fehlen mir im Moment die Möglichkeiten.

Wie manch Anderer kam ich durch das Schreiben zum Verlegen, als ich für meinen ersten Roman, einen Kriminalroman mit fantastischem Einschlag, keinen Verlag fand und ihn selbst herausbrachte.

Ingo Löchel: Welcher Roman wurde als erstes in Ihrem Verlag veröffentlicht und können Sie uns etwas über den Inhalt des Buches verraten?

Bernward Schneider: Das erste Buch, das in meinem Verlag erschien, war der Roman "EINE SELTSAME GESCHICHTE" (Original: A Strange Story) des englischen Autors Edward Bulwer-Lytton aus dem Jahre 1861; ein Meisterwerk der fantastischen Literatur, das zugleich eine spannende Kriminalerzählung und eines meiner Lieblingsbücher ist.

Im Mittelpunkt des Romans stehen die seltsamen Erlebnisse des englischen Landarztes Allen Fenwick, eines strengen Rationalisten und orthodoxen Wissenschaftlers, der für wirklich nur hält, was er sieht oder mit den eigenen Sinnen erfahren kann, und der die Existenz einer Seele nicht gelten lässt. Fenwicks Weltbild bekommt Risse, als er der elfenhaft schönen Lilian Ashleigh begegnet, einer Frau, die ganz unter dem Einfluss einer jenseitigen Welt zu stehen scheint.

Der verführerische Schwarzmagier Edward Margrave, der auf der Suche nach dem unsterblich machenden Lebenselixier sich der Hilfe des berühmten Arztes für seine alchemistischen Experimente zu versichern sucht, gewinnt Einfluss auf die junge Lilian, und unheilvolle Schatten fallen auf Fenwicks hoffnungsvoll erblühte Liebe.

Sir Philipp Derval, ein Eingeweihter in orientalische Geheimnisse, fällt nach seiner Rückkehr aus dem Ausland einem heimtückischen Mordanschlag zum Opfer, und Allen Fenwick gerät unter Mordverdacht.

Mehr möchte ich an dieser Stelle über den Inhalt des Romans nicht verraten, daich hoffe, dass noch viele Leser diesen Roman für sich entdecken werden.

Bulwer-Lytton hat nicht nur eine spannende fantastische Erzählung verfasst, sondern er berührt auch auf eine Art und Weise, wie man es in heutigen Romanen nicht mehr findet, Grundprobleme der menschlichen Existenz und gibt Antworten auf die Fragen des Menschen nach der Fortexistenz seiner Seele.

Ingo Löchel: Im Benu Verlag wurden unter anderem Werke von HENRY RIDER HAGGARD, E. BULWER-LYTTON und PHILIPP GALEN veröffentlicht, wobei letzterer ziemlich unbekannt ist. Warum gerade diese Auswahl an Autoren?

Bernward Schneider: PHILIPP GALEN ist tatsächlich ein fast vollständig vergessener deutscher Autor des 19. Jahrhunderts. Galen, eigentlich Karl Ernst Philipp Lange, wurde 1813 in Potsdam geboren, wo er 1899 auch verstarb.

Galen studierte Medizin und wurde Militärarzt in Bielefeld und Potsdam. Da die Besoldung als Militärarzt kärglich war, unternahm er frühzeitig den Versuch, die Familieneinkünfte durch seine literarische Tätigkeit aufzubessern und hatte damit aufgrund seiner schriftstellerischen Begabung auch Erfolg.

Galen schrieb insgesamt 32 Romane und galt als einer der spannendsten Erzähler seiner Zeit. Sein Werk steht stark unter dem Einfluss der Romane von Eugene Sue, Wilkie Collins und Alexandre Dumas.

Von seinen zahlreichen Romanen ist der frühe deutsche Kriminalroman „DER IRRE VON ST. JAMES“ aus dem Jahr 1854, der im Benu Verlag erscheint, sein wohl berühmtester, und auch einer seiner besten.

Der Roman handelt von dem deutschen Arzt Robert, der auf einer Englandreise in der Irrenanstalt von St. James auf den angeblich verrückten Mr. Sidney trifft, einen geheimnisvollen Mann, der eine starke Faszination auf ihn ausübt. Sidney ist in Wahrheit ein reicher Lord, der in der Anstalt unter falschem Namen lebt und von seinem bösartigen Bruder Mortimer um sein Erbe gebracht werden soll.

Um dem Mann zu helfen, unternimmt Robert eine abenteuerliche Reise durch England, die nicht allein dem Ziel dient, den widerrechtlich Eingesperrten aus den Fängen seiner Feinde zu befreien, sondern die auch der Suche Ellinors gilt, der wunderschönen Gattin des Lords, von der dieser am Tage seiner Hochzeit gewaltsam getrennt worden ist, und von deren Verbleib niemand mehr etwas weiß.

Der Roman strahlt etwas vom romantischen Geist des 19. Jahrhunderts aus; Ähnliches lässt sich auch in Bezug auf Bulwer-Lyttons "Eine seltsame Geschichte" sagen.

Besser bekannt als die beiden vorgenannten Autoren ist der Engländer HENRY RIDER HAGGARD  (1856 - 1925), der Abenteuerromane und okkulte Romane schrieb.

Viele seiner Abenteuerromane, die überwiegend im afrikanischen Dschungel spielen, haben einen fantastischen Einschlag. So auch der von mir herausgegebene Roman "SIE" aus dem Jahr 1886, einer von Haggards bekanntesten Romanen, der sehr stark mit mythischen Archetypen im Sinne der Tiefenpsychologie von C. G. Jung spielt.

In dem Roman begibt sich der junge Leo Vincey, inspiriert durch die geheimnisvolle Inschrift auf einer alten Scherbe, zusammen mit seinem väterlichen Freund Horace Holly auf die Suche nach der geheimnisvollen Königin einer längst als untergegangen gewähnten Kultur im Innersten Afrikas.

Sie dringen tief in unerforschte Gebiete ein und entkommen mehrere Male mit knapper Not dem Tode. In der verlassenen Totenstadt von Kor, dem Überbleibsel einer Zivilisation, die schon lange vor der Blüte des Alten Ägyptens untergegangen ist, begegnen sie schließlich der ebenso schönen wie grausamen Königin Ayesha, die in Leo Vincey ihren Geliebten aus einem weit zurückliegenden Leben wieder zu erkennen glaubt.

Ingo Löchel: Unter dem Untertitel FANTASTIC CRIME erscheint im Benu Verlag auch die NOBODY - Serie des Autors ROBERT KRAFT, die in unveränderter und ungekürzter Form der Buchausgabe des Münchmeyer Verlages aus den Jahren 1905 bis 1908 folgt.

Warum gerade die Veröffentlichung dieser Werke von ROBERT KRAFT und was fasziniert Sie persönlich an Robert Kraft und seinen Detektiv Nobody?

Bernward Schneider: DETEKTIV NOBODY war das erfolgreichste Werk von ROBERT KRAFT. 1920 wurde es von P. O. Monty verfilmt, auch erschienen von den Nobody-Bänden eine Reihe fremdsprachiger Ausgaben. In Tschechien wurden die Nobody-Romane bis in die späten 70er Jahre des 20. Jahrhunderts immer wieder neu herausgegeben.

Faszinierend ist an Kraft, dass er nicht nur Abenteuerromane schrieb, sondern auch ein recht abenteuerliches Leben führte. Als junger Mann heuerte er in Hamburg auf einem Schiff an, der Shakespeare, mit der er auf seiner ersten Fahrt über den Atlantik Schiffbruch erlitt.

Die nächste Reise führte ihn nach Ägypten, wo er sich mittellos durch das Land schlug, und eine Zeitlang mit einer jungen schwarzen Frau in der Wüste zusammenlebte.

Um nach Konstantinopel zu gelangen, schlich Kraft sich als blinder Passagier auf ein Pilgerschiff, auf dem ein geldgieriger Schiffsagent die Trinkwassertanks verseucht hatte. Viele Passagiere starben, und auch Kraft erkrankte an der Cholera, wurde aber gerettet, und kehrte nach Deutschland zurück, um seinen Wehrdienst abzuleisten.

Bald danach verschlug es ihn erneut nach Ägypten, wo er in der Libyschen Wüste Kontakt zur Sekte der Rufai-Derwische bekam. In jener Zeit beschäftigte sich Kraft intensiv mit übersinnlichen Phänomenen, die später in erheblichem Umfang Eingang in sein schriftstellerisches Werk fanden.

In den Ruinen eines alten Araberdorfes stieß Kraft beim Sturz in eine Grabkammer auf eine kleine antike Figur, eine Sphinx mit roten Augen, die später als ständiger Quell der Inspiration auf seinem Arbeitstisch stand, und die sich heute im Besitz des Karl-May-Verlags in Bamberg befinden soll.

Von Ägypten aus ging Kraft nach London, wo er im Juni 1895 Johanna Mathilda Rehbein, eine Deutsch-Engländerin, heiratete, und wo auch die erste Tochter Emilie geboren wurde.

Auf Anraten eines deutschstämmigen Bekannten nahm Kraft Kontakt mit dem Münchmeyer-Verlag in Dresden auf, für den er noch im gleichen Jahr »Kolportageliteratur« zu schreiben begann.

Kraft schrieb vor allem spannende Abenteuerromane, gilt aber auch als ein Mitbegründer der fantastischen Literatur in Deutschland und zugleich als ein Vorläufer deutscher Science Fiction.

Ganz unumstritten ist er nicht, da gelegentlich in seinen Romanen ein unterschwelliger Rassismus, zuweilen auch Antisemitismus durchschimmert. Man sollte das aber nicht überbewerten, sondern im zeitlichen Kontext sehen, zumal die diesbezüglichen Äußerungen bei Kraft nie in bösartiger Form auftreten.

Dank seiner unerschöpflichen Phantasie gelang es Kraft, die Grenzen der herkömmlichen Abenteuerliteratur immer wieder zu sprengen, und wenn man ihn als zuweilen als einen deutschen Jules Verne bezeichnet, liegt man damit wohl nicht ganz falsch.

Obwohl Kraft zu seiner Zeit ein beliebter und auch sehr produktiver Schriftsteller war, wurde er mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit nie reich, und als er 1916 plötzlich und unerwartet im Alter von nur 46 Jahren verstarb, ließ er seine Frau und die beiden Töchter in ärmlichsten Verhältnissen zurück.

Das umfangreiche Werk dieses zu Unrecht vergessenen Klassikers phantastischer Abenteuerliteratur hat es verdient, nicht gänzlich vergessen zu werden.

Ingo Löchel: Mit "WALDRÖSCHEN", wurde auch der erfolgreichste Kolportageromans von KARL MAY veröffentlicht. Können Sie den Lesern des Online-Magazins etwas über dieses Buch-Projekt erzählen?

Bernward Schneider: Als Mitglied der Karl-May-Gesellschaft und langjährigem Anhänger dieses Autors sind mir Karl Mays Kolportageromane schon seit längerem ein Anliegen.

KARL MAY kennt natürlich Jeder. Wie sein unsterblicher Indianerheld "Winnetou" ist er ja selbst schon ein deutscher Mythos. Weniger bekannt ist, dass Karl May nicht nur seine Reiseerzählungen und Jugendromane schrieb, sondern auch der bedeutendste Autor von Kolportageromanen und Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts in Deutschland gewesen ist, so dass er als einer der Ur-Väter des Heftromans gelten kann.

Sein Roman "WALDRÖSCHEN" war der erfolgreichste deutsche Fortsetzungsroman des 19. Jahrhunderts, eine bombastische Abenteuererzählung, die in 109 Fortsetzungen im Verlag H. G. Münchmeyer in Dresden erschien.

KARL MAY war ja zunächst Lehrer, bevor er wegen angeblichen Diebstahls einer Taschenuhr aus der Liste der Lehramtskandidaten gestrichen wurde.

Danach geriet er auf die schiefe Bahn und wurde mehrfach wegen Betrugs und Hochstapelei verurteilt. Nach seiner letzten Haftentlassung begann er im Alter von 32 Jahren als Redakteur einer Zeitschrift Heimaterzählungen und Abenteuergeschichten zu schreiben, wobei er ein ganz und gar ungewöhnliches schriftstellerisches Talent entwickelte.

Im Spätsommer 1882 war er auf einer Erholungsreise in Dresden, wo er auf einem Spaziergang zusammen mit Ehefrau Emma in die "Rengersche Restauration" kam, eine Kneipe, die er von früheren Dresden-Aufenthalten gut kannte. Zufällig begegnete er dort dem Verleger Heinrich Münchmeyer, für den er als Zeitschriftenredakteur schon geabeitet hatte. Münchmeyer befand sich in finanziellen Nöten und stand vor dem wirtschaftlichen Aus.

Er bat Karl May händeringend darum, einen Kolportageroman für ihn zu schreiben. Obwohl May in der Vergangenheit mit Münchmeyer schlechte Erfahrungen gemacht hatte, gab er auf Bitten seiner Ehefrau schließlich nach und nahm den Auftrag an.

May verwirklichte Münchmeyers Auftragsarbeit mit einem ganz und gar ungewöhnlichen Erfolg. Er begann mit der Niederschrift des "Waldröschens" imHerbst 1882. Die Auslieferung erfolgte in 109 Heften zu je 24 Seiten ab November 1882.

Vereinbart war eine Auflage von 20.000 Exemplaren; aber schon nach einigen Wochen kamen günstige Nachrichten: Der Roman "ging". Das "Waldröschen" wurde gelesen und wiedergelesen, bis die Blätter völlig zerfleddert waren; denn May bot seinen Lesern "atemlose Spannung" im besten Sinne des Wortes.

Das "Waldröschen" sollte schließlich eine nach damaligen Maßstäben geradezu galaktische Auflagenhöhe erreichen: 500.000 Exemplare.

Der Roman erfuhr schon bald viele Nachdrucke und seit 1886 Übertragungen uns Englische, Tschechische,  Niederländische, Italienische, Slowenische und Polnische. Finanziell gesehen war der Verleger Heinrich Münchmeyer der Hauptgewinner.

Mit dem "Waldröschen" erzielte er, bei einem Heftpreis von 10 Pfennigen, einen Umsatz von ca. 5 Millionen Mark. Karl Mays Honorar war wesentlich geringer und betrug nur 0,07 % der Gesamteinnahmen.

Trotzdem war May endlich seiner Existenzsorgen behoben und konnte im Dresdener Vorort Blasewitz mit Ehefrau Emma eine bessere Wohnung beziehen.

Bereits die Eröffnungssequenz des Romans wurde grundlegend für den Erfolg: "Von den südlichen Ausläufern der Pyrenäen her trabte ein Reiter auf die altberühmte Stadt Manresa zu." Dazu schrieb H. Posema(in Kolportage.

Die Horen 1995, Ausgabe 178, S. 44): "Ja, so muss eine Buch anfangen, das ein Reißer werden will. Ruhig und spanisch. Der Rhytmus der Sprache folgt dem Trab des Tieres, doch in den winkligen Gassen Manresas wartet das Abenteuer.

Gleich ist der Leser gefesselt; unrettbar gefesselt an die Geschehnisse, die noch vor ihm liegen; gebannt von einer Geschichte aus Verrat und Liebe, Treue und Wahnsinn, Scheintod und Eifersucht. 2612 Seiten lang, von einem Atemraub zum anderen. Siebenmal habe ich das "Waldröschen" schon gelesen, und immer fiebere ich der Szene im Alligatorenteich entgegen. - Wie schafft es der finstere Graf bloß, den schnappenden Bestien zu entkommen? - Die große Jagd aufs große Abenteuer. Im Reißer gibt es sie noch. Man nimmt das Buch, schlägt es auf -- und "von den südlichen Ausläufern der Pyrenäen trabte ein Reiter auf die altberühmte Stadt Manresa zu." -- Wunderbar!."

Im Vergleich zum "Waldröschen" sehen heutige Soaps ziemlich altbacken aus. Das  "WALDRÖSCHEN" ist Trivialliteratur im besten Sinne, nicht mehr und nicht weniger. May konnte auch anspruchsvoller schreiben, aber er wusste eben, was gute Trivialliteratur ausmacht.

Zeitgleich mit dem "Waldröschen" schrieb er an einem weiteren Riesenroman; der im vorderen Orient und dem Balkan angesiedelten  Abenteuererzählung "Im Schatten des Großherrn", in dem erstmals ein Ich-Erzähler namens Kara Ben Nemsi und sein Freund Hadschi Halef Omar die literarische Bühne betreten. Auch dieser Riesenroman erschien zunächst als Fortsetzungsgeschichte in der katholischen Wochenschrift "Deutscher Hausschatz".

Eines der Hefte geriet im Jahr 1891 zufällig in die Hände des Freiburger Buchhändlers Fehsenfeld, der kurz davor einen eigenen Verlag gegründet hatte. Fehsenfeld war begeistert, nahm Kontakt zu May auf und machte ihm den Vorschlag, die Orient-Erzählung in Buchbänden zu erfassen, und so wurden aus der Fortsetzungsgeschichte "Im Schatten des Großhern" die Bände 1 - 6 der Gesammelten Werke Karl Mays, ("Durch die Wüste" bis "Der Schut"); und es begann die ungewöhnliche Erfolsgeschichte dieses Autors, die ihn schließlich zum meistgelesenen Autor deutscher Sprache machen sollte.

Der Text des im Benu Verlag erscheinenden "Waldröschen" folgt in 9 Bänden unverändert und ungekürzt der Erstausgabe des Münchmeyer-Verlags. Lediglich die Rechtschreibung wurde dem modernen Sprachgebrauch angepasst.

Ingo Löchel: Herr Schneider, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

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