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Montag, 17. Mai 2021

Die Leihbuch-Ära in Deutschland

Die Ära der Leihbücher in Westdeutschland begann kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Bereits 1948 erfreuten sich Kriminal-, Western- und Frauenromane bei den Lesern sehr großer Beliebtheit. 

Mitte der 1950er belief sich ihr Bestand auf 20 Millionen Exemplare. Auch die Zahl der Leihbüchereien stieg ab Mitte der 1950er Jahre von 20.000 auf knapp 28.000 zu Anfang der 1960er Jahre. 

Dabei war der Anteil der Voll-Leihbüchereien weit geringer als die der Neben-Leihbüchereien, wie Tabakläden oder Zeitschriften- und Schreibwarengeschäfte, die wie Pilze aus den Böden sprossen, denn für das Betreiben einer ‚Leihbücherei‘ war (mit Ausnahme von Westberlin).keine Konzession  notwendig. Somit konnte jedermann eine ‚Leihbücherei‘ Betreiben. 

Es bedurfte auch keinerlei besonderen Kenntnisse bzw. Vorkenntnisse für diesen zusätzlichen Nebenerwerb.

Von 1948 bis 1976 existierten etwa um die 220 Leihbuchverlage, wobei viele von diesen teils Klein- und Kleinstverlagen schon nach wenigen Monaten wieder vom Markt verschwanden. Nur die größten Verlage überlebten in den knapp 30 Jahren der Leihbuch-Ära. 

Darunter Größen wie der Paul Feldmann Verlag in Marl, der Hermann Borgsmüller Verlag in Münster, der Bewin Verlag in Menden oder der Gebrüder Zimmermann Verlag in Balve, die binnen weniger Jahre den Leihbuch-Markt beherrschten.

Mitunter kam es mit der Zeit auch zur Gründung von Tochterunternehmen. So betrieb unter anderem der Borgsmüller Verlag auch die Verlage Athos, Hansa oder Merceda. Oder es kam zur Übernahme kleinerer Verlage, wie zum Beispiel. beim Paul Feldmann Verlag, der den Zwei Schwalben-Verlag aufkaufte.

Der Frauenroman (Liebesromane, Adelsromane, Berg-, Bauern – und Heimatromane, Mutter- und Kindromane, Arztromane sowie Schicksalsromane) nahm den Hauptanteil unter den Leihbüchern ein. 

Danach kamen die Männerromane, zu denen Kriminalromane, Westernromane, Abenteuerromane, Piratenromane, utopische Romane bzw. SF-Roman sowie Legionär- und Kriegsromane zählen.

Insgesamt erschienen in den Nachkriegsjahrzehnten nach Schätzungen ca. 33.000 Leihbuchtitel im deutschen Sprachraum. Im Bereich der Männerromane nahmen höchstwahrscheinlich die Kriminal- sowie die Westernromane den  größten Anteil ein. 

Ein Leihbuchtitel hatte durchschnittlich eine Auflagenhöhe von 2.000 Exemplaren. Höhere Auflagen wurden nur dann gedruckt, wenn die Nachfrage seitens der Leser groß genug war. So gab es einige wenige Autoren, die es auf eine Auflage von 5.000 Exemplaren pro Titel brachten. 

Einer dieser ‚Starautoren‘ war der Westernautor G. F. UNGER, der es zeitweise auf bis zu 7.000 Exemplaren pro veröffentlichten Titel brachte. 

Das Leihbuch hatte ein genormtes Aussehen. Es wog ein knappes Pfund, war bis zu vier Zentimeter dick, bestand aus nicht holzfreiem Papier, war 18 Zentimeter hoch und 12,5 Zentimeter breit und hatte einen Durchschnittsumfang von 254 Seiten.

Titelbild von Hugo Kastner

Als Schutz vor Verschmutzung besaß der Einband des Leihbuches einen Überzug aus Supronyl, einer durchsichtigen Plastikfolie, und im ungebrauchten Originalzustand auch einen Schutzumschlag. 

Die Leihbücher besaßen zum größten Teil farbig gezeichnete Titelbilder auf der Vorderseite des Einbandes, die später durch Bilder aus Kinofilmen ersetzt wurden, wie dies damals auch schon in  diversen Heftromanserien der Fall war.

Einer der bekanntesten Titelbildzeichner der Leihbuch-Ära war der Künstler GÜNTHER KÖNIG, der sich damals auf Illustrationen für Westernromane spezialisiert hatte und es auf insgesamt 5.000 Titelbilder brachte. 

Ein weiterer dieser Titelbildzeichner war HUGO KASTNER, der unter anderem Bilder für den Verlag C. S. Dörner & Co.,  den Verlag Alfred Mühlbüsch sowie für den Borgsmüller Verlag schuf. Kastner schrieb unter dem Pseudonym EMERY SCOTT auch selbst einige Westernromane. 

Nachdem die Leihbuch-Ära zu Ende gegangen war, schuf er noch eine Menge Titelbilder für diverse Western-Serien im Heftromanbereich.

Der Verkaufspreis eines Leihbuches lag zu Anfang bei ca. 5,80 Deutsche Mark  und erhöhte sich in den Jahren von 6,80 Deutsche Mark auf 7,80 Deutsche Mark. Der Höchstpreis eines Leihbuchs lag bei einigen Verlagen sogar bei 8,80 Deutsche Mark. 

Durch diese Preissteigerungen variierte auch die Verleihgebühr pro Buch in den diversen Leihbüchereien bzw. Neben-Leihbücherien. Lag sie Anfangs bei ca. 25 bzw. 30 Pfennig, stieg sie mit Jahren aber auf mindestens 50 oder 60 Pfennig pro Buch, damit der Betreiber einer der vielen Tausend Leihbüchereien in Westdeutschland zumindest wieder den Einkaufspreis für das Buch reinbrachte.

Ab Ende der 1960er Jahre ging die Ära der Leihbücher dem Ende entgegen. Die Auflagen fielen von Jahr zu Jahr und erreichten Mitte der 1970er Jahre nur noch eine unrentable Auflage von 800 Exemplaren pro Titel. 

Damit kam auch das Ende für den BEWIN –, den REKORD sowie für den PAUL FELDMANN Verlag, die sich am längsten auf dem Markt gehalten hatten, aber 1976 ebenfalls das Handtuch werfen mussten, weil sich das Geschäft mit den Leihbüchern einfach nicht mehr lohnte...

© by Ingo Löchel


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