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Sonntag, 21. Dezember 2025

Ein Interview mit dem Autor Michael Tillmann

Ingo Löchel: Michael, kannst Du den Lesern des Online-Magazins kurz etwas zu Deiner Person erzählen?

Michael Tillmann: Mein Name ist Michael Tillmann, ich bin 56 Jahre alt und arbeite als Qualitätsmanager im Bereich Nahrungsmittel. Mein beruflicher Werdegang führte mich über eine Ausbildung zum Elektroinstallateur und nachfolgender Abendschule schließlich zum Studium der Ökologie.

Ich hoffe, hier wenden sich die Leser des Magazins nicht direkt entsetzt ab, denn ich bin wirklich keiner dieser unwissenden Öko-Sabbelköpfe. Ich rede hier von einer Naturwissenschaft, die leider sekundär von Politikwissenschaftler, Soziologen und Weltverbesserern gekapert wurde, um politische Agenden durchzuboxen.

Ingo Löchel: Mit welchem Buch gabst Du Dein Debüt als Horror- bzw- als Phantastik-Autor und wie kam es zur Veröffentlichung dieses Buches?

Michael Tillmann: Was war mein Debüt? Es kommt drauf an, ob man zwei Hefte mitrechnet oder nur die Taschenbücher als Bücher bezeichnet. Wenn man die Hefte mitrechnet, so komme ich auf sieben Bücher und das entsprechende Debüt ist dann „DAS GRINSEN IM LABYRINTH“. Es wurde von JÖRK KLEUDGEN (Sänger der legendären GOTHIC-Rockband „THE HOUSE OF USHER“) in seinem Verlag GOBLIN PRESS verlegt.

Es gibt (bis auf eine Ausnahme!) keine besonderen Entstehungsgeschichten über meine Bücher zu berichten. Ich habe meine Geschichten einfach an die entsprechenden Verleger gesendet, welche sie akzeptierten und druckten.

Nur beim Schreiben meines aktuellen Buchs, auf das wir ja später noch zu sprechen kommen, gibt es eine bemerkenswerte Anekdote zu berichten. Das „DAS GRINSEN IM LABYRINTH“ hatte jedoch keine.

Ingo Löchel: Um was geht es darin?

Michael Tillmann: „DAS GRINSEN IM LABYRINTH“ war ein wahnsinniger Mix sehr kurzer Texte quer durch die Welt der Phantastik, fast schon surrealistisch. Einiges müsste ich sicher mal überarbeiten.

Ingo Löchel: Nach der Veröffentlichung Deiner beiden Anthologien „EIN GÄNSEKIEL AUS SCHWERMETALL“ (2010) und „SCHATTEN SUCHEN KEINE EWIGKEIT“ (2013), erschienen Deine Bücher ab dem Jahr 2021 im Blitz Verlag, darunter auch die Horror-Western-Anthologie „WESTWÄRTS AUCH DIE ÄNGSTE ZIEHEN“ (2023).

Hast Du ein Faible für „Horror-Western“ bzw. was interessiert Dich an diesem Mix-Genre?

Michael Tillmann: Es gab in den 70er Jahren die Heftroman-Serien GRUSEL-Western (Marken Verlag) und GEISTER-Western (Bastei-Verlag). Die habe ich mir als circa Zwölfjähriger in den 80er Jahren für ein paar Groschen auf Flohmärkten gekauft.

Und da BLITZ bekanntlich teilweise aus dem Geist der Heftroman-Szene kommt, hat es mir natürlich eine große Freude bereitet an der dortigen Reihe HORROR-Western mitzuarbeiten. Eine Tradition fortsetzen. Wobei mein Band übrigens kein Roman ist.    

Ingo Löchel: Was fasziniert Dich persönlich am Horror-Genre?

Michael Tillmann: Echte Freaks werden verstehen, was ich meine, wenn ich sage, es ist sehr gemütlich und entspannend in seiner Bibliothek zu sitzen und Horror zu lesen.

Ich verstehe, wenn viele Menschen es nicht schaffen werden, die Worte „gemütlich“ und „Horror“ übereinander zu bekommen. Das kann man nicht wirklich erklären: "If you don't have it in your blood, you'll never understand."

Ingo Löchel: Im November 2025 erschien mit „JENSEITS DES ZEITGEISTES LAUERN GESPENSTER“ Dein neues Buch. Wovon handeln die Geschichten in Deiner Anthologie?

Michael Tillmann: Der Untertitel des Buches ist Anti-Wokeness-Phantastik. Ich habe gerade schon berichtet, dass ich Ökologie studiert habe. Und auch sonst habe ich einiges im Leben gemacht, was man vielleicht als alternativ und nichtbürgerlich beschreiben kann.

Dabei war ich für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe aufgeschlossen und habe alle Menschen so genommen, wie sie waren. Ich habe nicht nach Geschlecht, Abstammung etc. geschaut.

Umso zorniger wurde ich, als ich bemerkte, dass es vollkommen humorlose Personen gibt, die sich scheinbar für „bessere Menschen“ halten und nur ihre Interpretation von Moral und Weltanschauung als das einzig Wahre darstellen. Personen, die wirklich alles vollkommen übertreiben

Es geht mir als Vater einfach zu weit, wenn man zum Beispiel schon Kinder verbieten will, sich als Indianer zu verkleiden, um niemanden zu beleidigen. Bekanntlich heißt eine große Indianervereinigung „National Congress of American Indians (NCAI)“.

Die Beleidigung ist also oft nur in den Köpfen der bereits erwähnten „besseren Menschen“ aus den weltfremden Wokeness-Freundeskreisen. Daher begann ich schon länger Geschichten zu schreiben, die sich gegen Kleinkariertheit und „political correctness“ stellen.

Ich erkannte, gerade die subversive Phantastik ist ein sehr gutes Genre, um übertriebene Moral zu hinterfragen, denn Gespenster, wenn es sie denn geben würde, würden über unseren abgehobenen Zeitgeist nur müde lachen.

Sowohl JÖRG KAEGELMANN als auch seine Nachfolger im BLITZ-Verlag konnten meinen diesbezüglichen Sinn für Ironie verstehen. Definitiv keine humorlosen Menschen! Das macht mir Hoffnung!

Es gibt übrigens auch in diesem Buch eine Weird-Wester Story. Man findet auch eine Geschichte, in der Gespenster das Problem „Täter- vor Opferschutz“ hinterfragen. Es gibt stereotypische Kannibalen. 

Man findet im Buch Kriminelle, die aus den Kreisen von Minderheiten kommen und behindert sind. Kannst Du Dir so etwas im von Zwangsgebühren gemästeten ÖRR (Öffentlich-rechtlichen Rundfunk) vorstellen?

Und hier ist die Anekdote über die Entstehungsgeschichte des Buches: Ich hatte zwischenzeitig beim Schreiben manchmal die schreckliche Schere der Selbstzensur im Kopf. Ich hatte Hemmungen die Wokeness-Jünger so richtig mit den Mitteln des Horrors durch den Kakao zu ziehen. Ich zweifelte an meiner eigenen Moral, kam mir schlecht vor.

Aber dann tauchte plötzlich OLAF KEMMLER, den ich schon länger kannte, mit einem Thread im Forum von Science-Fiction-Netzwerk auf, der alsbald hohe Wellen schlug.

OLAF berichte darin, ein harmloses quasi „Venus-Bild“ (von mir laienhaft so bezeichnet) aus seiner Feder zum Roman „Irgendwo ist immer Gestern“ (MICHAEL STEINMANN) war beim Kurd-Laßwitz-Preis quasi gecancelt worden, weil es zu „sexistisch“ wäre.

OLAF wird sicherlich lachen, wenn er hört, dass in meinem Geiste immer schon sein Kosename „Der Che Guevara der Deutschen Science-Fiction“ war. OLAF ist ein herzensguter Menschenfreund. Die Revolution frisst ihre Kinder, ist eine gängige Redewendung.

Der Bogen ist überspannt, wenn so ein Humanist wie OLAF KEMMLER wegen seiner Kunst als Sexist bezeichnete wird. Das zeigt mir, dass ich mit meiner Kritik gegen die Wokeness absolut richtig liege. Die Schere der Selbstzensur ist zerbrochen. Ich nehme jetzt kein Blatt mehr vor dem Mund.

Unabhängig vom Kurd-Laßwitz-Preis haben wir mal in der Szene recherchiert. Uns wurde klar, dass einige Namen an vielen neuralgischen Punkten immer wieder auftauchen. Die Phantastik-Szene spiegelt hier die Gesellschaft wider, wo auch kleine Kreise neuralgische Punkte besetzen und ihre persönliche Meinung als die Meinung des Volkes verkaufen wollen.

GEORGE ORWELL soll mein Zeuge sein: Ich bin ein kompletter Wahnsinniger, der seinen verdammten Stiefel der Freiheit und Aufrichtigkeit reiten wird, ganz egal was meine schlimmsten Kritiker und inquisitorische Weltverbesserer schreiben werden. Denn ich will ja gerade die verlorene Kommunikation anregen!

Ich will mit meinem Buch Themen On-topic bringen, die in Foren oft gecancelt werden, mit der Begründung, sie wären für die Phantastik/Fantasy/Science-Fiction zu Off-topic. Ganz im Gegenteil: Die Themen sind das Blut in den Adern bzw. Schläuchen der Gespenster bzw. Roboter. Die Kunst bleibt frei!

Ich will nicht, dass die kommenden Generationen im Schatten der neuen Spießer leben müssen. Kinder sollen noch, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, Indianer spielen. Es ist mehr als schäbig schon Kinder in eine bestimmte Weltanschauung drücken zu wollen. Aber das sind alles nur Beispiele.

Ingo Löchel: Sind die Geschichten, die in dieser Anthologie veröffentlicht wurden, alles Erstveröffentlichungen?

Michael Tillmann: Das Thema wühlte meinen Geist nicht erst gestern auf. Ich zähl jetzt nicht nach, aber circa 40 % sind früher schon mal total verstreut in Magazinen veröffentlicht worden. Der überwiegende Teil ist aber neu.

Ingo Löchel: Deine bisherigen Buchveröffentlichungen scheinen alles Anthologien zu sein. Hättest Du nicht auch mal Lust, einen Roman zu schreiben?

Michael Tillmann: Nein.

Ingo Löchel: Du hast seit den 1990er Jahren eine Vielzahl von Kurzgeschichten in diversen Publikationen wie „EXODUS“, „FANTASIA“, „NOCTURNO“, „PHANTASTISCH“ und „ZWIELICHT“ veröffentlicht.

Wieso das Schreiben von Kurzgeschichten? Was interessiert bzw. fasziniert Dich an dieser literarischen Form? Ist es ihre ‚Kürze‘?

Michael Tillmann: In meinen Kurzgeschichten hat jeder Satz einen Sinn im Gesamttext. Jede Streichung würde etwas völlig anderes ergeben. In manchen Romanen kann man hingegen 100 Seiten und mehr streichen, ohne dass sich final etwas ändert. Ich denke, mehr muss man dazu nicht sagen.

Ingo Löchel: Hast Du literarische Vorbilder, die Dich beim Schreiben Deiner Kurzgeschichten/Erzählungen inspirieren bzw. inspiriert haben?

Michael Tillmann: Meine Geschichten sind sehr unterschiedlich. Mal klassische Phantastik. Mal Splatter (meine Story in ZWIELICHT 21 ist recht beliebt). Mal Surrealismus. Mal Satire. Man müsste für jede Geschichte einzeln analysieren, welche Geister sich da wiederspiegeln.

Es liegen Welten zwischen Robert Aickman, Clive Barker, E. F. Benson, Philip K. Dick oder Murakami etc., aber ich liebe sie alle.

Ingo Löchel: Was unterscheidet Deiner Meinung nach Deine Anthologien sowie Deine Kurzgeschichten/Erzählungen von anderen Werken des Horror-Genres?

Michael Tillmann: Mir ist der Zeitgeist egal. Da bin ich wie die alten Gespenster in meinen Erzählungen. Ich werde niemals einen Trend folgen und zum Beispiel Romantasy oder Tentakelporn schreiben. Ich bin ein völlig autonomer Autor. Und ich kann auch nur jeden jungen Autor raten, völlig autonom zu bleiben.

Beispielsweise würde ich niemals der PAN (Phantastik-Autoren-Netzwerk) beitreten. Die PAN hat circa drei richtige Stars und vielleicht ein halbes Dutzend Leute, deren Name man schon irgendwann mal gehört hat.

Die anderen sind alle namenlose Unbekannte. Warum sind diese namenlosen Unbekannten in der PAN? Weil sie hoffen, etwas Licht fällt von den Sternen (s.o.) auf sie herab. Aber dieses Licht wird sie nicht erleuchten. Sie werden im Schatten bleiben, für immer, wenn sie nicht autonom werden.

Ingo Löchel: Welche Buch-Projekte sind für die Zukunft geplant?

Michael Tillmann: Ich kann noch nichts Konkretes sagen. Vielleicht mal ein Band mit mehr Science-Fiction und weniger Gespenstern? Oder doch wieder Horror-Western? Oder was ganz anderes?

Mir fällt gerade auf, ich habe viele Geschichten geschrieben, die in Kneipen, Pubs, Saloons etc. spielen. Man könnte mal Kneipen-Lesungen veranstalten! Hat jemand bock mich dafür anzuheuern?

Ingo Löchel: Michael, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

 

Die Bücher des Autors Michael Tillmann (Anthologien)

  • 1997: Das Grinsen im Labyrinth
  • 1999: Mein Fleisch wird brennen
  • 2010: Ein Gänsekiel aus Schwermetall
  • 2013: Schatten suchen keine Ewigkeit
  • 2021: Der König von Mallorca
  • 2023: Westwärts auch die Ängste ziehen
  • 2025: Jenseits des Zeitgeistes lauern Gespenster

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