Rabe Raphael - Folge 9
Das Versteck des Täuschers
von Stefan Robijn
Berger wollte es sich gerade
bei einem Glas Wein im Wohnzimmer gemütlich machen, als das Telefon klingelte.
Ein paar Minuten zuvor hatte er das letzte Buch seines alten Meisters Konstantin in den Safe zurück gelegt, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass ein erneutes Studium der alten Schriften ihm keine neuen Erkenntnisse bescheren, sondern ihn nur noch mehr verwirren würde, als er es ohnehin schon war.
Die Skizze des seltsamen Rituals,
welche er als einzigen brauchbaren Hinweis auf den ominösen Plan des Magiers
Zacharias wertete, hatte er fotografiert. Jetzt konnte er nur noch auf weitere
Hinweise hoffen, die sich mit seiner Vermutung deckten.
Er warf einen Blick auf das Display und nahm den Anruf dann mit einem leichten Stirnrunzeln entgegen. “Hallo Helena”, begrüßte er seine alte Freundin, die einen kleinen Hexenzirkel leitete. “Du willst mir hoffentlich nur einen schönen Feierabend wünschen, oder? Für etwas anderes bin ich nämlich zu müde…”
“Da muss ich dich leider
enttäuschen, Frederic”, sagte Helena mit einer irgendwie heiser klingenden
Stimme.
“Was ist denn los, bist du
krank?” fragte Berger besorgt.
“Was? Nein, ich… bin nur ein
bisschen verschnupft, aber es geht auch nicht um mich, es… geht um Patrizia…”
Berger war sofort hellwach.
“Hat sie sich bei dir gemeldet?”
Helena zögerte kurz. “Sie ist
hier, Frederic.”
Berger warf einen kurzen Blick
auf den Raben, der ihn gespannt anzublicken schien. “Sie ist bei dir? Was will
sie denn? Ich meine, ist sie allein, oder… wirst du bedroht? Klär mich bitte
auf!”
“Sie ist allein, und sie
bedroht mich auch nicht. Es geht ihr sehr schlecht, Frederic. Sie ist auf der
Flucht. Ich weiß nicht, was genau da passiert ist, aber sie hat eine panische
Angst, dass die ihr auf den Fersen sind und…”
“Helena”, unterbrach Berger
sie. “Wie sicher bist du dir, dass das der Wahrheit entspricht, was du mir da
gerade erzählst?”
“Absolut sicher”, sagte sie.
“Du hättest sie sehen müssen, Frederic. Was auch immer da vorgefallen ist, sie
scheint einiges durchgemacht zu haben. Ich kenne Pat noch nicht sehr lange,
aber sie sagt die Wahrheit, da bin ich mir sicher.”
“Versteh mich nicht falsch,
Helena, aber das könnte trotzdem eine Falle sein. Wo ist sie denn jetzt?”
“Ich habe sie im “Hexenhaus”
untergebracht. Du weißt schon, unsere Gartenlaube, in der wir immer unsere…”
“Schon klar”, sagte Berger.
“Und was erwartest du jetzt von mir? Dass ich sie vor Zacharias beschütze? Oder
warum hast du mich angerufen?”
“Sie will dich sprechen,
Frederic. Sie hat gesagt, dass sie dir helfen wird, wenn du ihr hilfst…”
Berger seufzte. “Und wie genau
soll diese Hilfe aussehen?”
“Das kann ich dir auch nicht
sagen. Könntest… du vielleicht herkommen?”
Berger antwortete mit einem
weiteren Seufzen.
“Heißt das, du kommst?” fragte
Helena.
“Natürlich”, sagte Berger. Ich
bin in zehn Minuten bei dir.”
***
Als Helena die Tür öffnete,
fiel ihr Blick sofort auf den Raben, der auf Bergers Schulter saß, und sie trat
unwillkürlich einen Schritt zurück. Dann lächelte sie unsicher. “Gut, dass du
ihn mitgebracht hast”, sagte sie, während sie zur Seite trat, um Berger eintreten
zu lassen.
Der stutzte leicht. “Natürlich
habe ich ihn mitgebracht. Warum hätte ich ihn auch zu hause lassen sollen?”
Helena nickte schnell. “Ich
meine ja nur, weil er vielleicht nützlich sein könnte…”
Raphael krächzte zweimal, so
als hätte er ihre Worte verstanden.
Berger, der gerade an Helena
vorbei in Richtung Wohnzimmer gehen wollte, blieb stehen und drehte sich noch
mal zu ihr um.
Raphael krächzte wieder
zweimal, womit er üblicherweise auf eine neutrale, magische Aktivität hinwies.
Helena zuckte kaum merklich
zusammen, dann schüttelte sie den Kopf, trat auf Berger zu und öffnete die
obersten Knöpfe ihrer Bluse. Darunter kam ein Amulett zum Vorschein, dass sie
ihm kurz präsentierte, bevor sie es wieder unter der Kleidung verschwinden ließ.
“Ich schätze, er reagiert auf
mein Amulett”, sagte sie. “Ein altes Erbstück meiner Mutter…”
Berger nickte. “Ach ja, ich
erinnere mich. Sie war eine Hexe, stimmts?”
Helena nickte. “Eine richtige
Hexe, wolltest du sagen? Ja, das war sie. “Und sie hat mir ein paar ganz
brauchbare Dinge hinterlassen.” Sie deutete auf das Wohnzimmerfenster. “Ich
habe Pat gesagt, dass du kommst. Möchtest du… gleich rüber gehen?”
Berger nickte. “Ich gehe gleich
zu ihr, aber zuerst würde ich gern noch wissen, was genau sie dir erzählt hat.”
Sie legte den Kopf schief. “Das habe ich dir doch schon
gesagt…”
Berger zuckte die Schultern.
“Für mich klang es am Telefon so, als hättest du mir noch irgendwas
verschwiegen. Irgendetwas wichtiges. Zum Beispiel warum sie geflohen ist. Was
überhaupt passiert ist. Vielleicht hast du es ja vergessen, aber auf mich
wirkte sie bei unserer letzten Begegnung nicht so, als würde man sie zwingen,
für Zacharias zu arbeiten. Im Gegenteil, sie hat gleich angefangen, neue Leute
für ihn zu rekrutieren. Von Skrupel oder einem schlechten Gewissen war da
nichts zu spüren. Und jetzt verlässt sie ihn auf einmal und kriecht
ausgerechnet bei dir unter?”
Helena hatte während seines
Vortrages genickt, jetzt seufzte sie und schüttelte den Kopf. “Ich weiß es doch
auch nicht, Frederic. Alles was ich weiß, habe ich dir gesagt. Was hätte ich
denn tun sollen, als sie schluchzend und völlig entkräftet vor meiner Tür
gestanden hat. Ihr sagen, dass sie selbst schuld an ihrer Lage ist und zusehen
soll, wo sie unterkommt?”
Berger schluckte eine harsche
Erwiderung herunter und schüttelte den Kopf. “Okay, dann… lass mich halt raus. Ich muss zugeben, dass
ich wirklich gespannt bin, was sie mir zu erzählen hat.”
Helena nickte, dann ging sie
durch das Wohnzimmer auf die Terrassentür zu und öffnete sie. Da sie darauf
verzichtet hatte, das Licht im Raum einzuschalten, konnte Berger das kleine
Gartenhaus sehen, in dem Helena und ihre Hexenschwestern ihre Treffen abhielten
und in dem jetzt eine abtrünnige Hexe auf ihn wartete.
Berger drehte sich nochmal zu
ihr um. “Ist die Tür abgeschlossen?”
Helena nickte und gab ihm den
kleinen Schlüssel. Dann deutete sie auf den Raben. “Könntest du Raphael solange
bei mir lassen?”
Berger starrte sie überrascht
an. “Was? Warum das denn? Sagtest du nicht gerade, es wäre gut, dass er dabei
ist?”
Sie zuckte die Schultern. “Das
ist es auch. Aber Pat… sie hat mir von dieser Sache mit Benno erzählt und… ich
glaube, sie hat einen ziemlichen Respekt vor dem Raben.”
Berger schüttelte den Kopf. “Er
greift nur auf meinen Befehl hin an. Wenn sie ihre Augen und Ohren aufgemacht
hätte, anstatt mich zu beschimpfen, hätte sie das vielleicht mitbekommen.”
Helena nickte. “Du hast ja
Recht, aber… sie ist im Moment einfach ein ziemliches Nervenbündel. Sprich erst
mal mit ihr und lass den Raben solange bei mir.” Sie griff in ihre Tasche und
förderte ein paar Erdnüsse zutage. “Ich beschäftige ihn schon irgendwie. Ich
glaube, du fütterst ihn zu selten…”
Berger seufzte, dann schickte
er den Raben mit einem knappen Befehl ins Wohnzimmer zurück, wo er auf dem
Esszimmertisch Platz nahm.
Berger warf ihm noch einen kurzen Blick zu, dann ging er durch die Terrassentür nach draußen und marschierte in Richtung des Gartenhauses, während er sich innerlich auf ein Gespräch mit Pat vorbereitete.
Irgendwie kam ihm die Sache nicht ganz geheuer
vor und er glaubte nach wie vor, dass Helena ihm irgendetwas verschwiegen
hatte. Andererseits kannte er sie gut und lange genug, um ihr blind zu
vertrauen. Er betrat die schmale Veranda, wobei er sich leicht ducken musste,
dann schloss er die Tür auf und betrat das “Hexenhaus”.
“Patrizia?”, fragte er leise,
aber niemand antwortete.
Wahrscheinlich schläft sie,
dachte er. Die arme Frau hat ja soviel durchgemacht. “Patrizia?” rief er nun
etwas lauter.
Diesmal antwortete sie, besser gesagt reagierte sie auf sein Rufen, aber es klang eher so, als würde jemand versuchen, durch eine Socke zu schreien, oder durch einen… Plötzlich hatte Berger ein ganz dummes, mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Er griff nach seiner Stabtaschenlampe, die er wie immer bei sich trug, schaltete sie ein und leuchtete in die Richtung, aus der die seltsam gedämpften Schreie kamen, während er ein paar Schritte nach vorn ging. Im nächsten Moment blieb er abrupt stehen, um nicht über die Person zu stolpern, die vor ihm auf dem Boden lag.
Er
richtete den Strahl der Taschenlampe auf das Gesicht und sah, dass jemand Pat
gefesselt und geknebelt hatte. Dann trat er noch etwas näher an sie heran und
starrte mit zunehmendem Entsetzen auf die Frau, die vor ihm lag. Es dauerte ein
paar Sekunden, bis sein Gehirn das Bild vor ihm einordnen konnte, aber dann
hatte er es endlich begriffen. Die gefesselte Frau war nicht Pat, sondern
Helena.
***
Obwohl ihm augenblicklich klar
war, mit welcher Absicht seine Gegner ihn gerade ausgetrickst hatten,
unterdrückte Berger den Impuls, aufzuspringen und zum Haus zurückzurennen und
befreite Helena von dem Knebel. Diese hustete und starrte ihn mit aufgerissenen
Augen an, bis sie ihn im schwachen Licht der Taschenlampe erkannte.
“Frederic”, stieß sie hervor.
“Ich…”
Er schüttelte den Kopf. “Hör
zu, Helena. Die haben es auf Raphael abgesehen. Ich muss ins Haus zurück. Aber
ich… komme wieder und befreie dich, okay?” Sie nickte schwach.
Berger sprang auf, stürzte aus dem Hexenhaus und rannte durch den Garten in Richtung der Terrassentür zurück. Diese war inzwischen verschlossen, also lief Berger um das Haus herum bis zur weit offen stehenden Haustür.
Da es nicht so aussah, als ob sich noch jemand im Haus aufhielt, rannte er zunächst zur Straße, konnte dort aber weder den alten Punto, mit dem Pat und Benno meist unterwegs waren, noch die falsche Helena ausmachen.
Fluchend und vor Frust und Anstrengung keuchend lief Berger ins Haus
zurück, schaltete die Lichter an und suchte nach Spuren, aber alles was er
fand, waren ein paar schwarze Federn und die auf dem Boden verstreuten
Erdnüsse. Trotz seiner Verzweiflung erfüllte der Anblick ihn mit einer
grimmigen Genugtuung. “Die nimmt er nicht von jedem”, sagte er.
In einem schwachen Anflug von Hoffnung, der Rabe könnte ihnen vielleicht doch entkommen sein, rief ein paar mal nach ihm, aber Raphael antwortete nicht. Berger hatte keine Ahnung, wie Pat es so schnell geschafft hatte, mit dem Raben das Haus zu verlassen und zu verschwinden, aber er musste sich wohl oder übel mit der Tatsache abfinden, dass sein Partner sich jetzt auf dem Weg zu Zacharias befand. Er atmete ein paar mal tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben.
Es galt jetzt, einen kühlen
Kopf zu bewahren, und vor allem musste er zunächst einmal Helena befreien. Er
lief zum Gartenhaus zurück, wo er nach kurzem Suchen einen Lichtschalter fand,
den er betätigte, worauf Helena einen erstickten Schrei von sich gab. “Alles
gut, ich bin’s”, sagte Berger.
Er half Helena, sich auf die
Seite zu drehen und befreite sie dann von den Fesseln an ihren Händen und
Füßen.
Nachdem sie sich ein bisschen
erholt und die Blutzirkulation wieder in Gang gebracht hatte, verließen sie das
kalte Gartenhaus und gingen ins Haus zurück, wo Helena als erstes zwei
Wassergläser mit Wodka füllte, mit denen sie sich an den Küchentisch setzten.
Während Berger an seinem nur
einmal nippte, trank Helena ihr Glas in einem Zug aus und knallte es dann auf
den Tisch.
“Ich bin so blöd, dass es
wehtut”, sagte sie kopfschüttelnd.
Berger nahm ihre Hand und
drückte sie leicht. “Wir sind beide auf sie reingefallen”, sagte er. “Dabei
hätte ich eigentlich schon an der Stimme erkennen müssen, dass du es nicht
bist…”
Sie nickte. “Es ist das
Amulett. Ich weiß nicht, woher sie es hat, aber mit einem Spruch allein wäre
sie nicht in der Lage, ihre Gestalt zu verändern. Hat sie… dir auch erzählt,
dass sie vor diesem Kerl und seinen Leuten geflohen ist?”
Berger nickte. Dann schüttelte
er den Kopf. “Das ist jetzt unwichtig. Ich muss wissen, wohin sie den Raben
bringt und was sie mit ihm vorhaben. Das Problem ist nur, dass ich keine Ahnung
habe, wo Zacharias sich mit seinen Leuten aufhält. Ich glaube zwar, dass es
irgendwo in der Nähe sein muss, aber da hört es auch schon auf…”
Helena nickte zögernd. “Ich bin
mir nicht sicher, aber ich glaube, sie sind auf irgendeinem Firmengelände”,
sagte sie.
Berger hob überrascht den Kopf.
“Wie kommst du darauf?”
Sie zuckte die Schultern.
“Nachdem sie mich mit gefesselt und mit irgendeinem Zeug betäubt hatten,
dachten sie, ich wäre bewusstlos, aber so leicht kann man eine Helena Dobrak
nicht betäuben. Jedenfalls sagte einer
der beiden Kerle, die bei Pat waren etwas von einer Gießerei… ich glaube es war
der mit der Augenklappe. Dann hat Pat ihm irgendwas zugezischt und der Kerl hat
gelacht und mich ein paar mal getreten, um zu demonstrieren, dass ich nicht bei
Bewusstsein bin.”
Berger schüttelte den Kopf.
“Die Tritte bekommt er doppelt und dreifach zurück, das verspreche ich dir…
okay, eine Gießerei sagst du? Gibt es hier eine in der Nähe, oder gab es eine,
die vielleicht leer steht?”
Helena hob wieder die
Schultern. “Ich weiß nur, dass es hier in der Nähe mal so eine Kunststoffbude
gab. Die steht soviel ich weiß, leer. Aber das ist keine Gießerei, oder doch?”
Berger überlegte kurz und zog
dann sein Handy zurate. “Also hier steht, dass auch Kunststoff gegossen wird.
Und du bist sicher, dass diese Fabrik leer steht?”
“Ganz sicher. Das war nur so
ein kleiner Zulieferer für irgendeine größere Firma. Eine kleine Klitsche halt.
Aber die Halle ist natürlich relativ groß und steht definitiv leer.”
“Das könnte es sein”, sagte
Berger. “Das muss es sein…” Er sprang auf. “Weißt du, wo genau ich die Halle
finde?”
Helena legte ihm die Hand auf
den Arm. “Jetzt warte doch mal, Frederic. Willst du dir nicht erst mal in Ruhe
überlegen, wie du vorgehst? Selbst wenn sie da wirklich sind, was willst du
denn allein gegen diese Leute ausrichten?”
Berger seufzte und setzte sich
wieder. “Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mir keine andere Wahl bleibt,
als es zu versuchen. Ich kann ihm den Raben nicht einfach so überlassen…”
Helena nickte, dann stand sie
auf. “Warte kurz, okay?” Sie verschwand im Wohnzimmer, kramte dort herum und
als sie in die Küche zurückkam, hielt sie etwas in der Hand, das sie Berger vor
die Nase hielt. Der staunte nicht schlecht, als er den Gegenstand zu erkennen
glaubte. “Ein Amulett?” fragte er. “Ernsthaft?”
Helena schüttelte den Kopf.
“Ich weiß, du bist gerade nicht so gut auf solche magischen Utensilien zu
sprechen, aber dieses hier macht dich nicht zum Gestaltwandler.” Sie überlegte
kurz. “Obwohl das in deiner Situation ja eigentlich hilfreich wäre.”
“Und was kann das Ding sonst
so?” fragte Berger skeptisch.
“Dieses Ding, wie du es nennst,
ist ein Magieabsorber. Das heißt, es kann dich vor magischen Angriffen
schützen, wenn es nicht gerade Feuerbälle oder sowas sind. Und vor allem
funktioniert es auch in die andere Richtung, das heißt, es kann die von dir
angewandte Magie verstärken…”
Berger nickte. “Solange es
keine Feuerbälle sind…“
Helena lächelte. “Genau, ich
sehe, du hast das Prinzip verstanden.” Sie streckte ihm das Amulett entgegen.
Berger zögerte kurz, dann nahm
er es ihr vorsichtig ab und legte es sich um. “Dann kann ja jetzt nichts mehr
schief gehen, oder?”, sagte er.
Helena nickte, aber er sah an
ihrem Blick, das sie sich Sorgen machte, und die machte er sich auch.
Allerdings galt diese Sorge vor allem seinem gefiederten Partner.
***
Nachdem Berger die ehemalige Kunststoff - Gießerei gefunden hatte, stellte er seinen Wagen auf dem Parkplatz eines kleinen Supermarktes ab und lief dann in Richtung der leerstehenden Halle. Als diese schließlich in etwa 50 Metern Entfernung vor ihm auftauchte, ging er in großem Abstand einmal um das umzäunte Gelände herum und suchte nach einem möglichen Eingang.
An der Frontseite gab es einen Bürokomplex, Seiteneingänge schien es nicht zu geben, also blieb nur die Rückseite der Halle, allerdings war das gesamte Gelände mit unzähligen Gitterboxen zugestellt, so dass Berger von der Straße aus keinen Zugang zur Halle erkennen konnte.
Er überlegte, ob er versuchen sollte, durch den Bürokomplex in die
Halle zu gelangen, entschied sich dann aber für eine Schwachstelle am Zaun. Da
auf der anderen Seite mehrere Gitterboxen standen, konnte er hier unbemerkt
hinüberklettern und sich sogar zwischen ihnen verstecken.
Anschließend wandte er die
“Werde eins mit den Schatten” - Formel an, welche ihn zwar nicht unsichtbar
machte, aber hoffentlich dafür sorgte, dass man ihn in der Dunkelheit nicht so
schnell entdecken würde.
Berger hatte die Formel kaum ausgesprochen, da spürte er, wie sich das Amulett auf seiner Brust leicht erwärmte. Dank Helenas kurzer Instruktion wusste er, dass sein magischer Verhüllungszauber nun noch verstärkt wurde. Er verließ sein Versteck, näherte sich vorsichtig der Rückseite der Halle und spähte dann um die Ecke herum.
Dort
gab es eine Rampe, die zu einem Rolltor hinaufführte, das aber von unzähligen
Gitterboxen und Paletten zugestellt war. Neben der Rampe befand sich eine
schmale Metalltür, die offenbar den einzigen Zugang in die Halle darstellte.
Links und rechts davon hatte jemand zwei anthrazitfarbene, an Doggen erinnernde
Figuren postiert, zumindest machten sie aus der Ferne den Eindruck, als seien
es nur leblose Figuren, aber als Berger sich der Tür vorsichtig näherte, kam
plötzlich Leben in die linke der Figuren. Ihre gerade noch grauen Augen
begannen gelb aufzuleuchten und dann sprang sie auch schon auf und hetzte auf
ihn zu.
Berger wirbelte auf dem Absatz herum und rannte auf eine der leeren Gitterboxen zu. Er schaffte es gerade noch, mit einem gewaltigen Satz auf die Box zu springen, als der “Torwächter” sich hinter ihm mit einer solchen Wucht dagegen warf, dass Berger sich an dem Gitter festkrallen musste, um nicht herunterzufallen. In diesem Moment kam bereits der zweite Wächter angerannt. Berger dankte dem Herrgott dafür, dass sie trotz ihrer Ähnlichkeit mit Doggen keinen Mucks von sich gaben.
Er
vermutete, dass er es hier wieder mit beschworenen Kreaturen zu tun hatte, mit
denen er vor kurzem erst aneinandergeraten war. Nach dem Fall mit dem
“Spinnenmann” hatte er sich schlauerweise eine Formel eingeprägt, die bei
derartigen Begegnungen hilfreich sein konnte. Er konzentrierte sich auf den
vorderen Wächter und rief dann laut und deutlich die “Bekehren” - Formel.
Zuerst geschah gar nichts und Berger glaubte schon, dass der Spruch bei belebten Figuren nichts ausrichtete, doch dann spürte er wieder, wie sich das Amulett erwärmte, worauf sein Verfolger die Versuche, an der Gitterbox hochzuspringen, einstellte und ruhig stehen blieb. In diesem Moment war der zweite Wächter heran und warf sich gegen die Box.
Wie Berger gehofft hatte, quittierte Wächter Nr. 1 das als Angriff gegen seinen neuen Herrn und griff den anderen Wächter an. Berger wusste nicht, wie lange der Zauber wirkte, also nutzte er die Gelegenheit, sprang auf der anderen Seite von der Box herunter und lief zurück zu der Metalltür. Dort angekommen drehte er sich um, aber die Wächter schienen noch mit sich selbst beschäftigt zu sein, also drückte er vorsichtig die Kunststoff - Klinke herunter, aber wie er es sich bereits gedacht hatte, war die Tür magisch versiegelt.
Auch diese Hürde hatte er erst vor kurzem bei seinem “Konzertbesuch” überwunden, weshalb er den entsprechenden Spruch noch auswendig kannte. Er trat dicht an die Tür heran und murmelte die “Magiebrecher - Formel”, worauf das vertraute Knacken zu hören war. Als er sich anschließend noch mal umdrehte, sah er die beiden Wächter langsam an ihren Posten zurückkehren.
Da Berger nicht vorhatte, sich noch mal
mit ihnen anzulegen, blieb nur die Flucht nach vorn. Er atmete noch einmal tief
durch, dann öffnete er die Tür und betrat das Versteck des Täuschers.
© by
Stefan Robijn
Ende der neunten
Folge
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