Rabe Raphael - Folge 6
Der Mann, der durch Wände ging
von Stefan Robijn 
Das Telefon klingelte und
Berger schüttelte seufzend den Kopf. Gerade erst hatte er mit Helena gesprochen
und ihr von den jüngsten Aktivitäten ihrer ehemaligen “Hexenschwester” Patrizia
berichtet. 
Diese hatte kürzlich einen
weiteren Anhänger für Zacharias rekrutiert, womit nun auch Helena klar sein
musste, dass sie praktisch beschlossen hatte, den Weg der dunklen Magie zu
beschreiten. 
“Kann es nicht sein, dass er
sie irgendwie… dazu gezwungen hat?” hatte Helena gefragt, womit sie auf
Florians Entführung anspielte. 
Berger hatte nur humorlos
gelacht und ihr dann ganz genau geschildert, wie seine letzte Begegnung mit Pat
verlaufen und was danach geschehen war. “Also weißt du gar nicht, wo sie jetzt
sind?” hatte sie gefragt. 
“Nein, aber selbst wenn ich es
wüsste, könnte ich nicht viel gegen sie ausrichten, geschweige denn, Pat oder
einen der anderen befreien.” 
Tatsächlich war Bergers bisher einziger Erfolg die Befreiung Federers gewesen, allerdings hatte ihn das letzten Endes auch nicht gerettet.
Seine Laune stieg also nicht
gerade ins Unermessliche, als er die Nummer auf dem Display als die von Frau
Portmann, die Mutter Florians, zu erkennen glaubte. Es stand wohl außer Frage,
aus welchem Grund sie morgens um 9 Uhr bei ihm anrief, also nahm Berger den
Anruf mit einem leicht  mulmigen Gefühl
im Magen entgegen. 
“Hallo Herr Berger, ich wollte
Ihnen nur sagen, dass mein Sohn sich gemeldet hat.” eröffnete sie das Gespräch. 
Berger spürte einen Hauch von
Erleichterung. “Was hat er gesagt?” 
“Eigentlich nur, dass ich mir
keine Sorgen machen soll und dass es ihm gut geht”, antwortete sie mit einem
zweifelnden Unterton. 
Natürlich, dachte Berger. Was
sollte er ihr auch sonst sagen… 
“Hat er Ihnen irgendetwas über
seinen jetzigen Aufenthaltsort verraten?” 
“Nein, aber er hat gesagt, dass
ich ihn auf keinen Fall suchen lassen soll. Weder von Ihnen, noch von der
Polizei.” 
Berger nickte. Einerseits
musste er darüber beinahe froh sein, weil es die Dinge nur komplizierter und
schwieriger gemacht hätte, wenn sie die Polizei einschaltete. Andererseits
befand Florian sich in Gefahr, auch wenn er das noch nicht zu wissen schien,
und Berger hatte nach wie vor keine Ahnung, wohin Zacharias mit seinen
Anhängern verschwunden war, nachdem sie Konstantins Haus aufgegeben hatten. 
Er versprach Frau Portmann, die
Füße still zu halten, bat sie aber, ihn sofort anzurufen, falls ihr Sohn sich
wieder bei ihr melden sollte. Dann legte er auf. “Anscheinend müssen wir wieder
bei Null anfangen”, sagte er an den Raben gewandt, der auf der aktuellen
Tageszeitung saß, die auf dem Küchentisch lag. 
Berger schüttelte tadelnd den
Kopf. “Raphael, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich die Zeitung zuerst
gern lesen würde, bevor du dich darauf verewigst.” 
Der Rabe krächzte beleidigt und
hüpfte zur Seite, sodass Berger nun freie Sicht auf die Schlagzeile hatte:  Gefängnisausbruch stellt
Polizei vor Rätsel
Er überflog den Artikel
darunter, in dem von einem Mann berichtet wurde, der offenbar spurlos aus
seiner verschlossenen Zelle und anschließend aus dem Gebäude entkommen war. 
Das wirklich interessante an der Story war die Aussage seines Zellengenossen, der Stein und Bein behauptete, der Entflohene sei nicht durch die Zellentür sondern einfach durch die Wand gegangen, was natürlich als Spinnerei abgetan wurde.
Stattdessen wurde derzeit
der wachhabende Aufseher vernommen, dessen Schlüssel man als einzige
Möglichkeit erachtete, die Zelle verlassen zu können. Berger jedoch war sich da
gar nicht so sicher.
Da er einen alten Bekannten bei
der hiesigen Polizei hatte, der ihm noch einen Gefallen schuldete, beschloss
er, diesen anzurufen. Vielleicht konnte der ihm etwas mehr über die genauen
Umstände dieses ungewöhnlichen Ausbruchs erzählen. 
*** 
“Tut mir leid, Berger, aber da
kann ich dir leider auch nicht helfen”, sagte Alberts, was allerdings nicht wirklich
bedauernd klang. “Zumindest wüsste ich nicht, wie oder warum ich dir überhaupt
irgendwelche Informationen zu diesem Fall liefern sollte.” 
Berger seufzte vernehmlich.
“Also erstens hilfst du nicht mir, sondern ich könnte euch helfen. Zweitens
möchte ich nur wissen, ob der Entflohene kurz vor seiner Flucht Besuch bekommen
hat. Und wenn ja, von wem…” 
“Herrgott, Berger, du weißt
selbst, dass das nicht unser Fall ist. Darum kümmern sich die Kollegen in
Bielefeld. Davon abgesehen gibt es auch in Gefängnissen sowas wie Datenschutz…” 
Berger ächzte. “Das könnte aber
wichtig sein, Alberts. Es könnte sogar der Schlüssel zu allem sein.” 
Alberts erwiderte das Ächzen.
“Könnte sein. Oder auch nicht. Es geht uns nichts an. Aber ich sag dir was im
Vertrauen. Die Befragung des Wachmanns und des Zellengenossen hat die Ermittler
nicht wirklich weitergebracht. Der Wachmann steht kurz vor der Pension. Es wäre
völliger Unsinn, jetzt irgendwelchen Insassen zur Flucht zu verhelfen.” 
“Und der Zellengenosse?” fragte
Berger. 
“Der gibt noch Rätsel auf. Er
gilt zumindest als relativ glaubwürdig und sein Geisteszustand soll auch in
Ordnung sein. Die Behauptung, sein Nachbar wäre durch die Wand spaziert ist
also ziemlich unerklärlich.” 
“Und wenn es wirklich so war?”,
gab Berger zu bedenken. 
Alberts lachte. “Mir ist schon
klar, dass jemand wie du das nicht ausschließt. Ich verstehe nur nicht,
inwiefern die Besucherliste dir da weiterhelfen würde.” 
“Sie könnte meinen Verdacht
bestätigen, dass ihm jemand bei der Flucht geholfen hat”, sagte Berger ernst. 
Alberts seufzte wieder. “Ich
will gar nicht wissen, wie genau man sich das vorzustellen hat, aber okay. Ich
werde sehen, was sich machen lässt.” 
*** 
Berger musste nur knapp zwanzig
Minuten auf den Rückruf warten. Er ließ es einmal klingeln und nahm den Anruf
dann entgegen. 
“Das ging aber schnell”, sagte
er. 
“Es war auch leichter, als
gedacht, an die Informationen heranzukommen”, erklärte Alberts. “Der Flüchtige
hatte Besuch von seinem Sohn. Der hat ihn während der gesamten Haftzeit genau
zweimal besucht. Das letzte Mal einen Tag vor der Flucht. Da soll er aber schon
nach einer Viertelstunde wieder gegangen sein.” 
“Was kannst du mir über ihn
sagen?” wollte Berger wissen. 
Alberts seufzte. “Was genau
hast du eigentlich vor, Berger? Du willst doch hoffentlich nicht die Ermittlungen
behindern?” 
“Habe ich das jemals getan?”,
fragte Berger grinsend. 
“Ja, hast du…” antwortete
Alberts. 
Berger überlegte kurz. “Ach so,
ich weiß, worauf du anspielst, aber das ist Auslegungssache. Bei dieser Sache
damals lief es ähnlich ab, wie in diesem Fall. Es wurden Hinweise ignoriert,
weil die Polizei sie nicht als solche anerkennt oder sie auch nur wahrnimmt.” 
“So wie bei dem Mann, der durch
Wände gehen kann?” fragte Alberts. 
Berger verzichtete auf eine
Antwort “Also hast du nun einen Namen für mich?”, fragte er. 
Alberts schien mit sich zu
ringen, dann seufzte er wieder. “Der junge Mann heißt Benno Meisner. 23 Jahre
alt, ohne festen Wohnsitz. Besser gesagt wurde der letzte gerade zwangsgeräumt.
Sagt dir der Name was?” 
“Er… kommt mir bekannt vor”,
sagte Berger, was natürlich stark untertrieben war. 
“Jedenfalls ist er wohl früher
mit seinem Vater zusammen aufgetreten”, fuhr Alberts fort. “Das war so eine Art
Zauberkünstler und sein Sohn hat ihm assistiert. Da war er vielleicht elf oder
zwölf Jahre alt.” 
“Ein Zauberkünstler…”, sagte
Berger. “Das ist interessant. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Polizei
einen Wachmann verdächtigt, der kurz vor der Pension steht…” 
Alberts stöhnte laut. “Was
erwartest du denn, Berger? Dass wir als erstes annehmen, der Flüchtige könnte
sich aus der Zelle hinausgezaubert haben, weil er schließlich ein
Zauberkünstler ist? Und selbst wenn es so war, es geht uns nichts an, weil das
wie gesagt nicht unser Fall ist. Also tu mir einen Gefallen und halt dich da
bitte raus…” 
“Natürlich”, sagte Berger. Und
das war nicht einmal gelogen. 
Zwar wusste er nun, wer der
Flüchtige war und er wusste auch etwas mehr über dessen Sohn Benno, dem er
schon ein paar mal begegnet war und der seinem Vater offenbar zur Flucht
verholfen hatte, um ihn Zacharias vorzuführen. Allerdings half ihm das nicht,
solange er nicht wusste, wo der Täuscher sich mit seinen Anhängern aufhielt. 
Mit anderen Worten, selbst wenn
Berger sich in die Ermittlungen hätte einmischen wollen, hätte er keine Ahnung,
wo er hätte ansetzen sollen. Er war praktisch zur Untätigkeit verdammt und
konnte nur abwarten. Natürlich hätte er Alberts erzählen können, dass es
zwecklos war, nach dem Flüchtigen zu fahnden, aber da es gute Gründe gab, das
nicht zu tun, verzichtete er darauf. 
***
Eine knappe Woche später fehlte
von dem Flüchtigen nach wie vor jede Spur, aber da es sich bei dem Mann nicht
um einen gefährlichen Verbrecher, sondern nur um einen Betrüger handelte,
interessierte sich die Presse schon nicht mehr so sehr für seinen Verbleib. 
Auch Berger hatte in den
letzten Tagen von keinem Fall gehört, bei dem jemand durch Hauswände oder
verschlossene Ladentüren spaziert wäre. 
Er war derzeit ohnehin mit
anderen Dingen beschäftigt. Eine ältere Dame hatte ihn zu sich bestellt, weil
sie in ihrer Garage eine äußerst ungewöhnliche Entdeckung gemacht hatte. Es
handelte sich angeblich um Spinnweben, besser gesagt um einzelne Fäden, die
außergewöhnlich dick und klebrig sein sollten. Die ganze Garage sei voll davon,
so dass man sich kaum darin bewegen konnte. 
Berger war sofort hingefahren und hatte festgestellt, dass die Fäden tatsächlich in jeder Hinsicht außergewöhnlich waren. Und auch wenn er keine dazu passende Spinne finden konnte, glaubte er ausschließen zu können, dass sich hier nur jemand einen üblen Scherz mit der alten Dame erlaubt hatte.
Also hatte er ihr geraten, die
Garage vorerst nicht zu betreten (einen Wagen besaß sie ohnehin nicht mehr),
dann hatte er eine Probe entnommen und war nach Hause gefahren, wo er die
Spinnenfäden sofort untersuchte. 
Er wusste, dass manche
Spinnenarten tatsächlich extrem klebrige und widerstandsfähige Fäden
produzierten, diese Exemplare jedoch schienen nicht von einer normalen Spinne
zu stammen, denn sie erwiesen sich als beinahe unzerstörbar. Nur Feuer hatten
sie nichts entgegenzusetzen. Berger rief bei der Dame an und machte einen
weiteren Termin für nähere Untersuchungen. 
Er hatte das Gespräch gerade
beendet, als das Telefon erneut klingelte. 
Berger nahm den Anruf entgegen
und rechnete schon damit, dass seine neue Klientin nun doch noch auf die
Bauherrin der Fäden gestoßen war, da die Teilnehmerin am anderen Ende sehr
aufgeregt und außer Atem schien. “Herr Berger! Kommen Sie bitte sofort rüber
und entfernen Sie Ihren Vogel aus meinem Garten!” 
“Frau Küppers? Ich kann Ihnen
nicht ganz…” 
“Ihre Krähe hat mich gerade
angegriffen! Ich würde gern meine Wäsche aufhängen, aber dieses Mistvieh greift
mich jedes Mal an, sobald ich nach draußen gehe!” 
Berger stöhnte leise. “Also
erstens ist Raphael keine Krähe…” 
“Das ist doch jetzt völlig
egal! Kommen Sie jetzt rüber, oder soll ich erst die Polizei rufen?” 
“…und zweitens ist er hier bei
mir”, sagte Berger zu der toten Leitung. 
Er schüttelte den Kopf und
wandte sich dem Raben zu. “Ich glaube, unser Freund Benno ist gerade wieder
aktiv geworden”, sagte er. 
“Ich würde ja sagen, ich geh
lieber allein rüber, aber weißt du was? Diesmal darfst du mitkommen.” 
*** 
Schon von Weitem sah Berger die
Krähe, von der er wusste, dass sie eigentlich nicht existierte, über dem Garten
seiner aufgebrachten Nachbarin kreisen. Er eilte durch das offene Gartentor,
lief um das Haus herum und hielt nebenbei Ausschau nach dem Illusionisten, von
dem er ziemlich sicher war, dass er sich irgendwo in der Nähe versteckt hielt. 
Die Frage war nur, warum er
seine kleine Vorstellung dieses Mal in der unmittelbaren Nähe von Bergers
Wohnung gab. Die Antwort lauerte schon irgendwo in seinem Hinterkopf und ein beunruhigendes
Gefühl überkam ihn, aber ehe er weiter darüber nachdenken konnte, klopfte seine
Nachbarin im Inneren des Hauses ans Fenster. 
Als sie Raphael auf seiner
Schulter sitzen sah und ihren Irrtum erkannte, hob sie kurz die Hand an die
Wange und deutete dann hektisch zum blauen Himmel hinauf. Berger nickte ihr zu
und richtete den Blick nach oben, wo der kleine schwarze Quälgeist noch immer
seine Kreise zog. 
“Raphael!”, rief er nur. Der
Rabe wusste längst, was zu tun war, erhob sich in die Lüfte und flog auf die
Krähe zu, während Berger sich auf die Suche nach Benno machte. Dieser schien
sich jedoch entweder sehr gut versteckt oder bereits aus dem Staub gemacht zu
haben, und nachdem Raffael den vermeintlichen Angreifer verscheucht hatte,
tauchten auch keine neuen Illusionen im Garten mehr auf. 
Inzwischen hatte sich Frau
Küppers wieder nach draußen getraut und stand plötzlich mit ihrem Eimer voller
Wäscheklammern neben ihm. 
“Tut mir leid, ich habe wirklich gedacht…”
“Schon gut”, sagte Berger abwinkend.
Er hätte noch hinzufügen können, dass Raphael sie noch nie angegriffen hatte,
aber er verabschiedete sich nur und lief dann mit dem Raben auf seiner Schulter
zur Straße zurück. 
“Raphael: Ortung!”, rief er. 
Der Rabe krächzte bestätigend
und flog ein paar Runden über den Dächern der umliegenden Häuser. Berger
wusste, dass der Paraspürer sich melden würde, sobald er eine magische
Aktivität wahrnahm. 
Doch als er sich nach ihm
umschaute, sah er ihn schon wieder in Richtung seines eigenen Hauses zurückfliegen,
wo er sich auf den Gartenzaun setzte und dreimal krächzte. 
Berger blieb für einen Moment
stocksteif stehen, dann fluchte er laut und rannte zum Haus zurück. 
*** 
Während er durch die Haustür in
die Wohnung stürmte, fluchte er immer noch, wenn auch nur innerlich. Er hatte
sich wie ein Schuljunge an der Nase herumführen und aus dem Haus locken lassen.
Im Grunde war er nun also schon zum zweiten Mal auf den selben Trick
hereingefallen, mit dem Benno ihn schon zu Konstantins Haus gelotst hatte. 
Berger betrat das Wohnzimmer
und sah seine Befürchtung bestätigt. 
Jemand war ins Haus
eingebrochen und hatte in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit ein heilloses
Chaos hinterlassen, wenn sich dieses auch offenbar nur auf das Wohnzimmer
beschränkte. 
“Raphael: Ortung!”, rief er. 
Der Rabe flog los und Berger
lief ihm nach, auch wenn er eigentlich nicht glaubte, dass der Eindringling
noch hier war, denn dann wäre Raphael auch ohne Befehl losgeflogen. 
Als er nach zehn Minuten
ausschließen konnte, das sich außer ihnen noch jemand im Haus befand, gab er
die Suche auf. Der Eindringling war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht
war, aber er hatte noch etwas anderes zurückgelassen, als nur Chaos. Etwas, das
sich in der Küche befand, wo Raphael bereits laut krächzend auf ihn wartete.
Zuerst glaubte Berger, der
Einbrecher würde sich doch noch hier versteckt halten, dann fiel sein Blick auf
die Wand zwischen dem Kühlschrank und dem kleinen Küchentisch. Die
Rauhfasertapete sah dort so aus, als würde sie flimmern. 
Sie schien beinahe vor seinen
Augen zu verschwimmen, so wie die Buchstaben in der Zeitung, wenn er seine
Lesebrille nicht aufhatte. Berger trat an den Bereich heran, tastete die Wand
vorsichtig ab und zog dann reflexartig die Hand zurück. 
Wie er bereits vermutet hatte,
schien die Wand an dieser Stelle durchlässig zu sein, allerdings fühlte es sich
nicht so an, als könnte man sie noch passieren, wie der Eindringling es
offensichtlich getan hatte, sondern eher wie eine weiche, zähe Masse. Offenbar
schien die Wand sich schon wieder in ihren ursprünglichen festen Zustand
umzuwandeln. 
Berger wartete die Entwicklung
nicht ab, sondern verließ fluchend die Küche, rannte durch die noch immer
offene Haustür nach draußen und lief dann ums Haus herum bis zur anderen Seite
der Außenwand, welche sein Besucher für sein Eindringen erwählt hatte. Aber
natürlich war der Mann, bei dem außer Frage stand, um wen es sich handelte,
längst über alle Berge, ebenso wie sein Sohn. 
Berger kehrte ins Haus zurück
und begutachtete den Schaden im Wohnzimmer. Schnell stand fest, dass der Mann,
der durch die Außenwand direkt in seine Küche spaziert war, etwas ganz
bestimmtes gesucht hatte. 
Da sich das Chaos hauptsächlich
auf Bergers Bücherregale beschränkte, deren Inhalt überall auf dem Boden
zerstreut lag, war es nicht schwer zu erraten, worum es sich bei dem gesuchten
Objekt handelte. Nachdem Berger alle Bücher zurück in die Regale geräumt hatte,
schien jedoch keines zu fehlen, allerdings wunderte ihn das nicht weiter. 
“Du glaubst doch wohl nicht,
dass ich die wirklich wertvollen Bücher einfach in mein Regal stelle”, murmelte
er kopfschüttelnd. Dann lief er in sein Büro und warf einen prüfenden Blick auf
den großen Mahagoni - Schreibtisch. Er öffnete die linke Tür unter der Schreibtischplatte
und fand den Safe wie erwartet unbeschädigt an seinem Platz vor. 
In diesem Safe befanden sich
die alten, zum Teil in Kunststoff eingeschweißten Bücher seines Freundes und
Meisters Konstantin. Bücher, die er schon zu Lebzeiten des alten Herrn in Verwahrung
genommen und im Safe aufbewahrt hatte. 
“Die Bücher dürfen auf keinen
Fall in falsche Hände geraten!”, hatte der Meister ihm eingeschärft. “Vor allem
ein ganz bestimmtes nicht, also pass gut darauf auf.” 
Das hatte Berger getan und
offenbar hatte Zacharias unterschätzt, wie ernst er diese Aufgabe nahm.
Immerhin hatte er seinen neuen Mann geschickt, der durch Wände gehen konnte, so
als hätte er geahnt oder gewusst, dass Berger seine Türen alle magisch
abgesichert hatte. 
“Aber wonach genau hast du
gesucht?” fragte er sich, wobei die Antwort eigentlich auf der Hand lag. Er
musste nach dem einen Buch gesucht haben, das Konstantin besonders erwähnt
hatte, allerdings wusste Berger beim besten Willen nicht, welches der etwa zehn
Bücher er gemeint hatte, und vor allem wusste er nicht, warum gerade dieses
Buch nicht in falsche Hände geraten durfte. 
Aber wenn es Zacharias nicht
nur darum ging, die Bücher seines alten Meisters an sich zu bringen, der auch
sein Meister gewesen war, dann musste es etwas mit dem Plan zu tun haben, von
dem Berger bisher nur wusste, dass er dafür magisch begabte Helfer benötigte.
Vielleicht brauchte er für die Vollendung des Planes aber auch dieses eine
Buch. 
Berger nahm sich vor, die
Bücher, von denen er einige nur ein paar mal durchgeblättert hatte, in den
nächsten Tagen etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Vielleicht fand er nicht
nur das eine Buch, sondern darin auch einen Hinweis darauf, was Zacharias
plante. 
Aber wenn er mit dieser
Vermutung wirklich richtig lag, bedeutete das natürlich, dass dieser weiterhin
versuchen würde, das Buch in seinen Besitz zu bringen. Und nach diesem
Misserfolg würde er bei der Beschaffung beim nächsten Mal womöglich etwas
rabiater vorgehen. 
Berger musste sich überlegen,
wie er sich noch besser vor einem weiteren Überfall schützen konnte. Aber jetzt
musste er sich zunächst einmal um den Fall mit den rätselhaften Spinnweben
kümmern, der noch immer darauf wartete, gelöst zu werden… 
© by
Stefan Robijn 
Ende der sechsten Folge
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