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Sonntag, 15. Mai 2022

Ein Interview mit der Krimi-Autorin Marlies Ferber

Ingo Löchel: Frau Ferber, können Sie den Lesern kurz etwas über Ihre Person erzählen?

Marlies Ferber: Ich bin freie Autorin und Übersetzerin, das ist seit 2004 mein Beruf. Davor war ich angestellte Lektorin, davon habe ich studiert, zwischendurch mit meinem Mann eine Familie gegründet. 
 
Zwischendurch und bei alldem versuche ich die Welt und mich selbst zu verstehen. Nicht über Atome und Co., sondern über Geschichten. Wir Bücher-Freaks wissen ja, dass die Welt eigentlich nicht aus Atomen, sondern aus Geschichten zusammengesetzt ist.

Ingo Löchel: 2012 gaben Sie mit dem Roman „OPERATION EAGLEHURST“ ihr Debüt als Romanautorin. Wie kam es dazu?

 Marlies Ferber: Eines morgens wachte ich mit der Idee zu einem Buchtitel auf: Null-Null-Siebzig.  Wie genau das passierte, und was das mit meiner Begeisterung für Margaret Rutherford zu tun hatte, das war eine kleine Geschichte, die ich eigentlich nur zur Unterhaltung meiner Lektorin aufgeschrieben habe, die sie aber in den Anhang dieses ersten Buches mit hineingenommen hat. 

Der Titel verrät schon viel: Null-Null-Siebzig, Operation Eaglehurst. Es geht um einen Agenten ihrer Majestät im Ruhestand, der undercover in einer Seniorenresidenz den Tod seines Freundes und früheren Kollegen aufklären will.

Ingo Löchel: Wie lange haben Sie an Ihrem Debüt-Roman geschrieben?

Marlies Ferber: Zweieinhalb Jahre etwa.

Ingo Löchel: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Verlag dtv?

Marlies Ferber: Den Verlag, den wunderbaren dtv, habe ich noch auf eine klassisch-altmodische Weise gefunden: per Post, mit einem sogenanntem „unverlangt eingesandten Manuskript“. Wobei ich natürlich nicht das ganze Manuskript, sondern ein Exposé und Probe-Seiten an den Verlag geschickt habe. Zwei  Monate später kam eine freundliche E-Mail mit der Bitte um das ganze Manuskript zur Prüfung.

Ingo Löchel: Wie würden Sie James Gerald und Sheila beschreiben? Sind sie bodenständige und eigenwillige Charaktere?

Marlies Ferber: James Gerald ist 70 Jahre alt, war Geheimagent im Dienst des SIS und ist inzwischen Rentner. Er ist klug, hat eine ausgezeichnete Menschenkenntnis, ist vornehm in seiner Wesensart, aber auch ein Eigenbrötler, der berufsbedingt  sehr vorsichtig ist und sein Leben lang keine feste Bindung einging. 

Sheila  war ebenfalls beim SIS beschäftigt, aber als Sekretärin, sozusagen eine gealterte Miss Moneypenny. Sie ist Witwe und wohnt in direkter Nachbarschaft von James in London-Hampstead. Sie ist sehr down-to-earth, temperamentvoll, optimistisch, liebt London, trägt seit ihrer Jugend Mini-Röcke und hat auch mit inzwischen 67 Jahren nicht vor, das zu ändern. 

James fühlt sich abwechselnd von ihr angezogen und abgeschreckt, sie ist für ihn wie „ein Sturm, der über einen hinwegfegt“. Im Laufe der vier Romane kommen sich die beiden immer näher, aber er bleibt froh, dass jeder sein eigenes Haus behält.

Ingo Löchel: Nach den „Null-Null-Siebzig“-Romanen „AGENT AN BORD“ (2013) und „MORD IN HANGZHOU“ (2014) erschien 2015 mit „TRUTHAHN, MORD UND CHRISTMAS PUDDIGING“ der vierte und letzte Band Ihrer Buch-Reihe. Warum erschienen danach keine weiteren Romane mit James Gerald und Sheila?

Marlies Ferber: Es geht um ein Jahr im Leben des  Geheimagenten James Gerald, der den Spitznamen 0070 bekam, weil er siebzig Jahre alt ist: Band 1, „Operation Eaglehurst“, spielt im März, „Agent an Bord“ im Sommer auf einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer, wo Sheilas Mutter ihren 90. Geburtstag feiert, Band 3, „Mord in Hangzhou“ spielt im September in China, hier gibt es wieder einen inoffiziell-offiziellen Auftrag des SIS für James, er soll bei der Auflösung einer Teevergiftung in großem Stil mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund helfen. Band 4, „Truthahn, Mord und Christmas Pudding“ spielt im heimatlichen London-Hampstead in der Adventszeit und endet am Neujahrstag, der zugleich James‘ 71. Geburtstag ist.   

Die Kriminalfälle sind voneinander unabhängig und jeder Band steht auch für sich allein, aber insgesamt macht James in diesem Jahr eine Entwicklung durch, oder besser gesagt, die Beziehung von James und Sheila entwickelt sich in diesem Jahr und mit diesen Kriminalfällen entscheidend. Die Kriminalfälle, die anderen Figuren und das Setting waren auch spannend für mich beim Schreiben,  aber das, was mich am meisten fesselte, war die Liebesgeschichte dieser so unterschiedlichen Charaktere. 

Nach diesem Jahr im Leben der beiden  - und mit James‘ 71. Geburtstag – war diese Geschichte für mich „rund“. Vor ein paar Wochen allerdings habe ich doch noch mal wieder nach ihnen geschaut, wie es ihnen denn so ergeht inzwischen in Hampstead, und siehe  da – prompt ergab sich ein neuer kleiner Fall für James und Sheila. Dieses Wiedertreffen mit James und Sheila hat mir große Freude bereitet und wird hoffentlich auch den Fans von James und Sheila gefallen. „Null-Null-Siebzig: Operation Dottie“ wird in der Weihnachts-Anthologie von dtv im Herbst 2022 erscheinen.

Ingo Löchel: Woher stammen die interessanten Ideen zu Ihren Büchern?       

Marlies Ferber: Beim Schreiben selbst kommen mir die meisten Ideen, und dafür brauche ich Ruhe. Außerdem kommen mir auch bei langen Spaziergängen mit meinem Hund im Wald Einfälle, wie es weitergehen könnte. Inspirationen kommen aber natürlich auch aus Gesprächen, Büchern, Filmen, dem Leben überhaupt. Der Kopf ist ein großer Speicher, und wenn man Glück hat, spuckt er beim Schreiben Dinge aus, derer man sich kaum noch bewusst war, oder stellt während des Schreibprozesses neue, überraschende Bezüge her.

Ingo Löchel: Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Ihre Kriminalromane von anderen Werken des Genres?

Marlies Ferber: Was unterscheidet meine Romane von den anderen Werken des Genres – finde es schwierig, das zu beantworten, das können vielleicht besser die LeserInnen.

Ingo Löchel: Haben Sie literarische Vorbilder, die Sie bei Ihren Romanen beeinflusst bzw. inspiriert haben?

Marlies Ferber: Ja, auch hier ist der Titel natürlich ein gewisser Hinweisgeber: Null-Null-Siebzig. Aber abgesehen davon hat mich auch Agatha Christies unsterbliche Figur Miss Marple sehr inspiriert. Mein 0070 ist sozusagen eine männliche Miss Marple mit Geheimdienstvergangenheit.

Ingo Löchel: Am 8. August 2014 feierte das Bühnenstück „OPERATION EAGLEHURST“ nach Ihrem gleichnamigen Roman seine Uraufführung. Wie kam es dazu?

Marlies Ferber: Das Bühnenstück hat der wunderbare Dramaturg Stefan Schröder in Abstimmung mit mir geschrieben. Kurz zuvor hatte ich eine Lesung im damals recht jungen Theater an der Volme in Hagen mit Null-Null-Siebzig: Operation Eaglehurst. 

Die Theaterleiterin (und heutige Autoren-Kollegin und gute Freundin) Indra Janorschke und ihr Mann, der Theaterregisseur und Schauspieler Dario Weberg, hatten die Idee, das Buch im Rahmen eines Amateurtheater-Projekts auf die Bühne bringen, und machten Stefan und mich miteinander bekannt. 

Das Stück stand ein dreiviertel Jahr auf dem Spielplan mit insgesamt 10 wunderbaren, knisternden Aufführungen. Ich war bei allen Proben und fast allen Aufführungen dabei,  habe unglaublich viel gelernt und war fasziniert, wie Regisseur und Schauspieler „meine“ Figuren zum Leben erweckten.

Ingo Löchel: Gibt es inhaltliche oder sonstige Unterschiede zwischen Ihrem Roman und dem Bühnenstück?

Marlies Ferber: Das Bühnenstück ist sehr, sehr dicht am Roman. Stefan Schröder hat bei der Bühnenfassung so kongenial gearbeitet, dass ich bei den Dialogen oft nicht sagen konnte, welche Sequenz von ihm und welche von mir war. Natürlich muss gestrafft und fokussiert werden, und man muss einige Dinge auf der Bühne anders darstellen, was aber wiederum ganz andere Möglichkeiten zu Komik bietet. 

Eine Verfolgungsjagd im Taxi wurde beispielsweise durch vier Stühle dargestellt auf der Bühne, und der Taxifahrer hielt ein Lenkrad in der Hand, während James und Sheila auf der „Rückbank“ sich entsprechend bewegten - was einen unschlagbar witzigen Effekt auf das Publikum hatte. Inhaltlich eignete sich der Roman gut für eine Theater-Adaption, weil  Witz und Spannung sich die Waage halten, wir eine stringente Handlung haben (kaum Rückblenden) mit kurzen Szenen-Kapitel n, vielen Wendungen  und ohnehin sehr viele Dialoge. 

Wegen der vielen Figuren (14) eignet sich das Stück allerdings für freie – d.h. nicht von der öffentlichen Hand geförderte – Theater am ehesten im Rahmen von  Amateurtheaterprojekten, denn Gagen für 14 Berufs-Schauspieler pro Abend sind ein Kosten-Knackpunkt.

Ingo Löchel: An welchen Projekten arbeiten Sie zur Zeit?

Marlies Ferber: Wie schon bei meinem letzten Roman „Wohin die Reise geht“, arbeite ich wieder an einem Road-Trip. Er spielt in Südfrankreich, ist ganz ohne Mord, dafür aber mit viel Urlaubsflair.

Ingo Löchel: Frau Ferber, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.


Romane der Autorin Marlies Ferber

Null-Null-Siebzig

  • 2012: Operation Eaglehurst
  • 2013: Agent an Bord
  • 2014: Mord in Hangzhou
  • 2015: Truthahn, Mord und Christmas Pudding


Sonstige Romane

  • 2018: Grün ist die Liebe
  • 2021: Wohin die Reise geht

 Foto © by Johannes Weißleder

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