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Freitag, 26. März 2021

Krimi-Autor Raymond Chandler

Der Mann, der "Philip Marlowe" erfand

Heute vor 62 Jahren verstarb der Kriminalschriftsteller Raymond Chandler. Ein sehr guter Grund an dieser Stelle an den Meister des Hardboiled-Kriminalromans und Erfinder  des Privatdetektivs Philip Marlowe zu erinnern...

Raymond Chandler wurde am 23. Juli 1888 in Chicago, Illinois, USA, geboren. Sein Vater Maurice Benjamin war Ingenieur und arbeitete für Eisenbahngesellschaften im Mittleren Westen.

Die dadurch bedingte häufige Abwesenheit seines Vaters sowie dessen Neigung zum Alkohol und seine gewalttätigen Übergriffe zerstören die Ehe und sieben Jahre nach der Geburt des kleinen Raymond verließ Maurice Chandler seine Familie wegen einer anderen Frau. Trotz dieses Erlebnisses fand Raymond in seiner Mutter Florence den nötigen starken Halt.

Aus finanziellen Gründen wanderten Mutter und Sohn nach England aus, wo sie bei Verwandten in London wohnten. 

Im Jahre 1900 zogen Großmutter, Mutter und Tante mit  dem jungen Chandler nach Dulwich. Auf Betreiben seines Onkels Ernest Thornton, der auch das hohe Schulgeld bezahlte, wurde der nun zwölfjährige Chandler von 1900 bis 1905 Schüler des nahegelegenen Dulwich College im Südwesten von London.

"Ich bin aufs Dulwich College gegangen, eine englische Public School, die unter gesellschaftlichem Aspekt zwar nicht ganz an Eton und Harrow heranreicht, aber doch eine sehr gute Bildung vermittelte." (1)

Raymonds Wunsch nach Beendigung der Schulzeit im Jahre 1905 ein juristisches Studium zu beginnen erfüllte sich leider nicht. So schickte die Familie den Siebzehnjährigen zur Vervollkommnung seiner Fremdsprachenkenntnissen für sechs Monate nach Paris und Deutschland.

Mit 18 fällten seine Mutter und sein Onkel die Entscheidung das Raymond in den Staatsdienst eintreten sollte und so trat er den Posten in einem Büro der Admiralität an, den er aber schon nach sechs Monaten wieder verließ.

"Ich ging zum Marineministerium, fand die Atmosphäre dort so zum Davonlaufen, dass ich nach sechs Monaten davonlief." (2)

Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst arbeitete Raymond Chandler zeitweise als Aushilfslehrer am Dulwich College bis er beschloss Schriftsteller zu werden. Durch diese Entscheidung setzte sich der junge Chandler allerdings ins materielle Abseits, da ihm sein reicher Onkel jedwede Unterstützung versagte.

Ab 1908 arbeitete Chandler als Reporter in London für den "Daily Express", danach als freier Journalist für die liberale Abendzeitung "The Westminster Gazette"“und die Wochenendzeitschrift "The Academy".

"Ich lebte praktisch von nichts und schrieb für eine intellektuelle Wochenzeitschrift und für WESTMINSTER GAZETTE . Aber selbst im besten Fall bekam ich nur einen sehr kargen Lebensunterhalt zusammen." (3)

Chandler arbeitete als Reporter, Übersetzer und Rezensent, schrieb für diverse Zeitungen und literarische Zeitschriften und verkaufte Artikel, Besprechungen, Essays, satirische Skizzen und Verse. Langfristig sah  er allerdings keine große Zukunftschance in Großbritannien und so lieh er sich von seinem Onkel 500 Pfund und bestieg im Jahre 1912 ein Schiff nach Amerika. Der Neuanfang im Land seiner Geburt war allerdings außerordentlich hart.

Er war in diversen Jobs tätig und nahm 1913 an einen sechswöchigen Buchführungskurs teil, dessen Kenntnisse er später bei einigen seiner Jobs anwenden konnte.Während dieser Zeit lernte er die verheiratete und 18 Jahre älteren Cissy Pascal, kennen, die später seine Frau werden sollte.

1917 wurde er Soldat in der kanadischen Armee und wurde zwei Jahre später wieder aus der Armee entlassen. Im Jahr seiner Entlassung kehrte er mit seiner Mutter nach Kalifornien zurück, wo Chandler darauf angewiesen war, wieder wenig erträgliche Jobs anzunehmen, um über die Runden zu kommen. Doch Anfang der 1920er Jahre änderte sich seine Lage allmählich.

Da Chandler beachtliches geschäftliches Talent an den Tag legte und die Stadt Los Angels vom Ölrausch erfasst worden war, machte er in kurzer Zeit eine erstaunliche Karriere und brachte es zum Vizepräsidenten von Joseph Dabneys "South Basin Oil Company" und zum Direktor etlicher anderer Erdölgesellschaften.

Nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 1924 heiratete er Cissy Pascal, eine um 18 Jahre ältere, zweimal geschiedene Pianistin. Doch Chandler fühlte sich in der Rolle des spießigen Wohlstandsbürgers nicht sonderlich wohl, wendete sich dem Alkohol zu und geriet zunehmend aus der Bahn. So verschwand  er tagelang, drohte gelegentlich mit Selbstmord, und kümmerte sich nicht mehr besonders um seine Arbeit.

1932 wurde er schließlich entlassen. Danach stand Raymond Chandler vor dem Nichts. Doch in dieser verzwickten Situation entschied er sich seinen lang gehegten Wunsch zu erfüllen und Schriftsteller zu werden.

Im selben Jahr verfasste er seine erste Kurzgeschichte mit dem etwas merkwürdigen Titel "BIER IN DER MÜTZE DES OBERFELDWEBELS  oder DIE SONNE NIEST AUCH".  Bei dieser Erzählung handelt es sich um eine Parodie auf Hemingway. Chandler kopierte Hemingways Stil exakt und mit viel Witz.

Ein Jahr lang arbeitete Chandler zudem daran, Kriminalgeschichten zu schreiben. Dabei orientierte er sich an den Stilen und den Werken von Hammett, Gardner und Hemingway. Fünf Monate benötigte er um seine erste Kriminalerzählung zu schreiben, die er 1933 an das  Pulp-Magazin "BLACK MASK" schickte.

Joseph Shaw, dem Herausgeber des Pulp Magazins, gefiel die Story und im Dezember 1933 war es soweit, Raymond Chandler debütierte mit "BLACKMAILERS DON'T SHOOT“ (Erpresser schießen nicht) als Kriminalschriftsteller in "BLACK MASK", das ausschließlich Detektivgeschichten druckte und wegen seiner literarischen Qualitäten aus der Masse anderer Magazine herausragte.

Zwischen 1933 und 1936 verkaufte Chandler weitere Erzählungen an "BLACK MASK" und an "DETECTIVE FICTION WEEKLY".

1935 erschien die Erzählung "MORD IM REGEN",  die zu den besten seiner früher Story zählt und in dem zum ersten Mal ein Detektiv auftaucht, der schon gewissen Ähnlichkeiten mit seinem späteren Helden, dem Privatdetektiv Philip Marlow aufweist.

Zwischen 1936 und 1938 schrieb Chandler weitere Kriminalgeschichten für die Pulp-Magazine "BLACK MASK" und "DIME DETECTIVE".

1939 gab Raymond Chandler nach dreimonatiger Arbeit mit "THE BIG SLEEP"“(Der große Schlaf), dem ersten Buch mit Privatdetektiv Philip Marlowe, seine Roman-Debüt. 

Der Erfolg von "DER GROSSE SCHLAF" veränderte Chandlers Dasein nicht, da der relativ gute Verkauf des Buches in materieller Hinsicht keine Aufschwung brachte. So war er sich im klaren, dass er aus finanziellen Gründen weiterhin die eine oder andere Detektivgeschichte verkaufen musste.

Im April 1939 begann Chandler seinen zweiten Marlowe-Roman "LEBEWOHL, MEIN LIEBLING" und beendete dessen erste Fassung bereits im September, schrieb das Buch aber dann von Grund auf um, nachdem ihm die Aufnahme in die kanadische Armee auf Grund seines Alters verweigert wurde.

Während Chandler schon mitten in der Arbeit an seinem nächsten Marlowe-Krimi "DAS HOHE FENSTER" steckte, erschien mit "LEBEWOHL, MEIN LIEBLING" sein zweiter Roman im Buchhandel und erhielt so gute Kritiken, dass Hollywood auf ihn aufmerksam wurde.

1941 wurde "LEBEWOHL, MEIN LIEBLING" unter dem Titel "THE FALCON TAKES  OVER"“verfilmt, der allerdings nur als Teil einer Serie um einen Detektiv namens "The Falcon" und nichts mit der Romanvorlage von Chandler zu tun hatte. 

1944 folgten eine zweite Verfilmung unter dem Titel "MURDER, MY SWEET" mit Dick Powell als Philip Marlowe.

1942 wurde sein Roman "DAS HOHE FENSTER" unter dem Titel "TIME TO KILLE" und 1946 der Roman "DIE TOTE IM SEE" verfilmt. Doch auch diese beiden Hollywood-Verfilmungen seiner Kriminalromane waren nur sinnlose Verstümmelungen der Originalstoffe.

Die einzige interessante Verfilmung eines Chandler-Romans war und blieb "TOTE SCHLAFEN FEST" (1946) mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall, basierend auf dem Chandler-Roman "DER GROSSE SCHLAF". 

1943 begab sich Raymond Chandler nach Hollywood, um mit dem Regisseur Billy Wilder das Drehbuch zu dem Film "FRAU OHNE GEWISSEN" zu schreiben.

"In erster Linie tat er dies aus wirtschaftlichen Gründen, denn obwohl er mittlerweile ein erfolgreicher Schriftsteller war und sich einen Namen gemacht hatte, wusste er, dass er sich als Romanautor schwerlich den Grad an finanzieller Sicherheit  und Unabhängigkeit erreichen würde, der er entgegenstrebte. Und weil er kein Produzent schneller, billiger Krimi – Bestseller war noch werden wollte und seine Werke kein Vermögen abwarfen, nahm er den Job als Drehbuchautor in Hollywood an."“ (4)

Der Film aus dem Jahre 1944 mit Fred MacMurray, Edward G. Robinson und Barbara Stanwyck in den Hauptrollen wurde ein großer Erfolg und das Drehbuch zum Film wurde für einen Oscar nominiert.

Raymond Chandler hatte sich nach diesem Erfolg als Drehbuchautor durchgesetzt und gehörte sehr schnell zu den sehr raren Schreibern in Hollywood, die ansehnliche Summen bekamen. So mietete er sich für sich und Cissy einen kleinen Bungalow im südlichen Hollywood.

Die Arbeit an dem Drehbuch für "DIE BLAUE DAHLIE" (1946)  mit Alan Ladd und Veronika Lake in den Hauptrollen, brachte Chandler aber an den Rand des Zusammenbruchs. Um das Drehbuch für seinen Freund Houseman rechtzeitig abliefern zu können, versetzte er sich in organisierte Trunkenheit. 

Unter Aufsicht eines Arztes, der ihm Traubenzucker spritzte, betrank er sich eine Woche lang, aß in dieser Zeit nichts und beendete, in vollkommener Konzentration  und Selbstkontrolle, seine Arbeit. Der Film wurde zwar rechtzeitig fertig, aber es dauerte lange, bis sich der Autor von dieser exzessiven Arbeit erholte und wieder auf die Beine kam.

1946 kehrte Raymond Chandler Hollywood endgültig den Rücken und kaufte für sich und seine Frau Cissy ein Haus in La Jolla, einer reicher Vorstadt von San Diego.

Dort führte Chandler das zurückgezogene Leben einer Autorenexistenz. Kontaktfreudigkeit und Verlangen nach gesellschaftlicher Geborgenheit war nie seine Sache gewesen. Obwohl er ein witziger Gesellschafter sein konnte, hatte er doch Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen und Hemmungen.

1949 erschien Chandlers fünfter Romane "DE KLEINER SCHWESTER". Die Veröffentlichung des Buches steigerte Chandlers Bekanntheit  in der literarischen Welt und vergrößerte die Gemeinde seiner Leserschaft.

1950 schrieb Raymond Chandler für den Hitchocock-Film "DER FREMDE IM ZUG" sein letztes Drehbuch für Hollywood, basierende auf dem Roman von Patricia Highsmith. Im selben Jahr verfasste Chandler auch seine vorletzte Kurzgeschichte, die sich mit seinem Steckenpferd, dem phantastischen Genre befasste, und den merkwürdigen Titel "PROFESSOR BINGOS SCHNUPFPULVER" trägt. 

1950 erkrankte seine Frau Cissy an einem Lungenleiden. Chandler war voller Sorge um seine Frau und betäubte sich mit Alkohol und mit dem Schreiben an seinem Roman "THE LONG GOODBYE".

Der sechste MARLOW-Roman "DER LANGE ABSCHIED" erschien Ende 1953 in England und Anfang 1954 in Amerika und erhielt eine Menge positiver Besprechungen, der 1955 von "MYSTERY WRITERS OF AMERICA" mit dem "EDGAR AWARD" in der Kategorie "Best Novel" ausgezeichnet wurde.  

Doch am 12. Dezember 1954 erlebte Chandler den tragischsten Rückschlag in seinem Leben. Seine geliebte Frau Cissy starb vierundachtzigjährig nach schwerer Krankheit im Krankenhaus.

Der Verlust Cissys riss  nun alle Schranken nieder. Alkohol gehörte nun zu Chandlers täglichen Gebrauch. Er kam  betrunken zu der  Beerdigung seiner Frau, um diese und die ganze Situation in der er sich befand überhaupt nervlich durchstehen zu können.

Am 22. Februar 1955 versuchte Chandler in alkoholisierten Zustand einen halbherzigen Selbstmordversuch, der jedoch fehlschlug. Nachdem er sich davon erholt hatte, reiste er nach England, wo er sich, finanziell unabhängig, im Connaught Hotel in London einquartierte.

1956 musste er allerdings Großbritannien wieder verlassen, weil seine Aufenthaltsgenehmigung erloschen war. In New York angekommen, brach er plötzlich zusammen und wurde dort in ein Krankenhaus eingeliefert.

Im Jahr 1957 begann Raymond Chandler  seinen siebten Roman "PLAYBACK", den er Anfang 1958 beendete. 

"Dieser letzte Roman ist Chandlers schlechtester und mit den anderen nicht auf eine Stufe zu stellen, trotzdem ist „PLAYBACK“ die „unwahrscheinlichste Energieleistung eines Mannes, der noch ein Buch aus sich herausholte, wo die meisten in seiner Lage bereits aufgegeben und vor dem Leben kapituliert hätten." (5)

1958 kehrte er kurzzeitig nach London zurück und wohnte am Neptune Place, musste aber im Mai wieder ins Krankenhaus.

Nach seiner Genesung flog Chandler zurück nach Amerika, wo er seine letzte Kurzgeschichte mit dem Titel "THE PENCIL" (Der Bleistift) verfasste, die seinen Roman „PLAYBACK“ um Klassen überragte, und schrieb die ersten vier Kapitel seines achten und letzten Romans "THE POODLE SPRINGS STORY", den er aber nie vollendete.

Am 15. März 1959 kehrte Chandler  wieder in sein Haus in La Jolla in der Prospect Street in Kalifornien zurück und versank dort im Alkoholrausch. Am 23. März 1959 wurde er jedoch mit  einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. 

Zwei Tage nach seiner Einlieferung wurde der Autor ins "Scripps Memorial Hospital" in La Jolle, Kalifornien,  überführt. Dort verstarb Raymond Chandler am 26. März 1959 im Alter von 70 Jahren.

© by Ingo Löchel

  1. Raymond Chandler
  2. Raymond Chandler
  3. Raymond Chandler
  4. Thomas Degering
  5. Thomas Degering


Die Werke Raymond Chandler in deutscher Übersetzung 

Romane (Diogenes Verlag)

  • Der große Schlaf (The Big Sleep, 1939)
  • Lebewohl, mein Liebling (Farewell, My Lovely, 1940)
  • Das hohe Fenster (The High Windows, 1942)
  • Die Tote im See (The Lady in the Lake, 1943)
  • Die kleine Schwester (The Little Sister, 1949)
  • Der lange Abschied (The Long Goodbye, 1954) 
  • Playback (Playback, 1958)

Goldmann Verlag

  • Einsame Klasse (Poodle Springs, 1959) (vom Autor Robert B. Parker beendet, 1989 veröffentlicht)

Anthologien (Diogenes Verlag)

  • Mord im Regen (Frühe Stories)
  • Erpresser schießen nicht (Gesammelte Detektivgeschichten I)
  • Der König in Gelb (Gesammelte Detektivgeschichten II)
  • Gefahr ist mein Geschäft (Gesammelte Detektivgeschichten III)
  • Englischer Sommer (Geschichten, Parodien, Essays etc.)
  • Die simple Kunst des Mordes (Briefe, Essays, Notizen)
  • Meistererzählungen


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